Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
er wird dir in Neuseeland ein wunderbares Leben bereiten.«
Ihr Ton erlaubte keinen Widerspruch, und Anne sagte auch nichts. Noch vor wenigen Wochen hatte sie sich für eines der glücklichsten Mädchen von England gehalten. Und jetzt konnte sie nur noch auf das Beste hoffen. Mit einem kleinen Seufzer schloss sie die Augen und lehnte sich in das abgeschabte alte Polster der Kutsche.
Es schien ihr nur Augenblicke später, als sie mit ihrer Tasche in der Hand über den schmalen Laufgang an Bord der Mary May ging. Kein großes Schiff, aber solide gebaut, so weit sie das beurteilen konnte. Denn natürlich hatte sie keine Ahnung vom Schiffbau. Ihre Eltern blieben oben stehen, als sie mühselig die wenigen steilen Stufen, die unter Deck führten, meisterte. Anne sah sich in dem Raum um, in dem Hängematten eng nebeneinander gehängt waren und eine geöffnete kleine Luke nur sehr wenig frische Luft in das Innere des Schiffes ließ. Ardroy sah ihr Gesicht und lachte. »Keine Sorge, hier nächtigt nur die Mannschaft, nicht wir. Komm mit, ich zeige dir dein Quartier.« Kaum auf seinem Schiff, war er vom Ihr zum Du gewechselt.
Er schob sich an den Lagern der anderen Seeleute vorbei, bis er eine schmale Tür erreichte. Er deutete darauf und erklärte: »Hier wohne ich. Da wir auf der Überfahrt aber noch nicht vermählt sind, möchte ich dir dein eigenes Reich zeigen.« Mit großer Geste schob er einen verschlissenen Vorhang zur Seite, der Anne noch nicht aufgefallen war. Dahinter zeigten sich eine schmale Pritsche, eine Kommode, auf der eine kleine Waschwanne stand – und genug Platz, um vor dem Bett aufrecht zu stehen und sich einmal um die eigene Achse zu drehen.
Anne drehte sich entsetzt um. »Und hier soll ich drei Monate lang leben? Jedes unserer Pferde hat mehr Platz, um sich in seiner Box zu bewegen!«
Ardroy zuckte mit den Schultern und deutete auf die Mannschaftsunterkünfte. »Jedem meiner Matrosen erschiene diese Kajüte als wahres Paradies. Sie verbringen fast ihr ganzes Leben auf See, nicht nur ein paar Monate – und doch stört sie die Enge nicht. Du wirst dich daran gewöhnen, liebe Anne.«
Mit einem Seufzer schob Anne ihre schwere Tasche unter das Bett. »Ich sehe auch nicht, was mir anderes übrig bleibt.«
Sie drückte sich an ihm vorbei, um wieder an Deck zu gelangen. »Ich möchte mich noch von meinen Eltern verabschieden. An die Kammer kann ich mich später noch gewöhnen, nicht wahr?«
Er nickte verständnisvoll. »Sicher, meine Liebe. Lass dir Zeit. Es ist schließlich nicht sehr wahrscheinlich, dass du sie in diesem Leben noch einmal wiedersiehst.«
Auch wenn das der Wahrheit entsprach – Anne ärgerte sich über die Grobheit, mit der er das sagte. Schließlich war es nur sein Traum, in Neuseeland zu leben. Das Opfer brachte sie, denn Nathan Ardroy hatte keine lebenden Verwandten mehr in England. Zumindest hatte er ihr das bei der steifen kleinen Feierlichkeit am Vorabend erzählt.
Auf dem Deck warteten ihre beiden Eltern und sahen ihr gespannt entgegen. »Wie gefällt es dir?«, fragte ihre Mutter.
Sie sah dabei so hoffnungsvoll aus, dass Anne es nicht über das Herz brachte, ihr die Wahrheit von dem winzigen Raum zu erzählen. Sie brachte ein überzeugendes Lächeln zustande. »Alles ist ganz wunderbar, Nathan hat sich darum gekümmert, dass ich in einer eigenen Kajüte reise, solange wir noch nicht verheiratet sind – wahrscheinlich sind wir die einzigen Verlobten der Erde, die monatelang Tür an Tür leben, ohne dass Eltern oder Tanten aufpassen.« Sie verschwieg lieber die Sache mit dem Vorhang statt einer Tür. Und der kompletten Mannschaft dahinter.
Ihre Mutter brach in Tränen aus. »Mein kleines Mädchen wird erwachsen, und ich kann nicht dabei sein«, schluchzte sie. »Da habe ich mir seit deiner Geburt vorgestellt, wie ich dir eines Tages bei der Hochzeit, bei Schwangerschaften und Geburten helfen werde – und dann bleibt alles, was ich für dich tun kann, das Entzünden einer Kerze in einer schottischen Kapelle. Ich werde dich so sehr vermissen!« Sie schluchzte noch einmal auf.
Gerührt schloss Anne ihre Mutter in die Arme. Was sollte sie schon sagen? Dass ihre Mutter diese Verbindung zu einem Seemann unbedingt hatte haben wollen? Dass ihre Mutter sich weder an dem Wohnsitz in Neuseeland noch an dem fehlenden Ehering gestört hatte, es ihr nur wichtig gewesen war, die Tochter schnell in eine Verbindung zu drängen? Dafür war es jetzt zu spät, und so ließ auch Anne
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