Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
glänzende Münze zutage. Anne hielt ihm ihre Hand entgegen, aber er drückte das Geldstück direkt dem Koch in die Hand. »Ich zahl schon für Euch!«, nuschelte er dabei.
So stand Anne zwar mit einem schmackhaften Mahl, aber weiterhin mit keinem Penny in der Tasche da. Täuschte sie sich, oder war das genau das Ziel von Nathan Ardroy? Das musste sie unbedingt herausfinden. Sie biss von dem Fleisch ab und bewegte sich dabei möglichst schnell in Richtung einer der ausgetrampelten Pfade. Noch bevor sie drei Schritte gemacht hatte, griff Jimmy sie grob am Oberarm. »Bleibt hier bei mir, sonst gibt es Ärger!«, knurrte er sie dabei unvermittelt an.
Sie sah ihn überrascht an und rieb sich die schmerzende Stelle am Arm. »Wo sollte ich denn hin? Ich weiß nicht, was Ihr Euch denkt. Ich möchte möglichst bald in Neuseeland meinen Nathan heiraten …« Dazu bemühte sie sich um eine unschuldige Miene. Innerlich war sie zu Tode erschrocken. Ganz offensichtlich hatte Nathan genaue Anweisungen gegeben, wie Jimmy mit ihr verfahren sollte. Und das klang nicht nach einem liebevollen Ehemann. Waren die Warnungen womöglich richtig gewesen? Mit einem Mal wollte sie nur noch eines: weg. Weg von diesem Markt und vor allem möglichst weit weg von diesem bärbeißigen Seemann, der sie mit allen Mitteln wieder an Bord bringen wollte. Anne lächelte ihm beruhigend zu und setzte sich mit ihrem Fleisch auf einen umgefallenen Baumstamm. Unauffällig musterte sie jetzt die Umgebung genauer.
Es sah aus wie ein Paradies, mit den vielen Menschen, dem lieblichen Geruch nach einer Dschungelpflanze und der milden Brise vom Meer. Dazwischen mischten sich die verlockenden Aromen von den Garküchen und das Geschrei der Händler, die ihre Ware anpriesen. Wahrscheinlich war es besser, sich hier in der Fremde durchzuschlagen, als in Kororareka als leichtes Mädchen zu landen.
Sie beobachtete einen kleinen Jungen, der sich durch einen schmalen Gang zwischen zwei Hütten schob. Während sie langsam das letzte Stück Fleisch kaute, begriff sie: Hier war ihre letzte Chance. Jimmy pulte sich konzentriert zwischen den Zähnen herum – immerhin hatte er sich auch eine Portion von diesem gerösteten Fleisch geleistet.
Anne leckte sich die Lippen, spannte ihre Muskeln an und rannte dann mit einem Schlag los. Sie verlor keine Sekunde, verschwand zwischen den beiden Hütten und raste dann über einen staubigen Hinterhof zu einem Trampelpfad, der in die Wildnis führte. Schon nach wenigen Schritten hörte sie Jimmys Flüche. Er kämpfte sich hinter ihr durch das Unterholz und schlug offensichtlich mit seinem Säbel wild um sich.
Sie duckte sich und huschte zwischen den dichten Bäumen weiter. Jimmys Schnaufen und Fluchen kam trotzdem näher. Er bewegte sich erstaunlich flink für einen alten Mann. Sie erreichte ein leuchtend grünes Feld, auf dem knöcheltief das Wasser stand. Ohne einen Augenblick nachzudenken, rannte sie weiter. Mit geschürzten Röcken stampfte sie durch das schlammige Wasser – und merkte zu spät, dass sie immer langsamer wurde und nur noch schwer atmete. Die wochenlange Reise hatte ihr die Ausdauer und die Kraft genommen, das hatte sie falsch eingeschätzt und bei dieser Flucht nicht bedacht.
»Jetzt bleib doch stehen, du dumme Pute!«, brüllte Jimmy direkt hinter ihr. »Du hast doch keine Chance!«
Sie sah sich nicht einmal um, war überglücklich, das Ende des Feldes erreicht zu haben. Gerade als sie erleichtert einen festen Trampelpfad betrat, sprang ein kleiner Junge vor ihr aus dem Gebüsch und stellte ihr so geschickt ein Bein, dass sie der Länge nach hinschlug. Der Sturz raubte ihr den Atem. Mühsam kam sie auf die Knie, als sich von hinten auch schon eine feste Hand um ihren Hals legte.
»Du kleines Biest. Ich habe den Käpten doch gleich gewarnt, dass du Ärger machst. Wie ’ne echte Lady die Märkte ansehen … das habe ich von Anfang an nicht geglaubt. Du bist zu klug. Weißt, was der Käpten plant, oder? Von wegen Hochzeit. Als ob irgendjemand in Kororareka heiraten würde.« Er zerrte sie an ihren Haaren nach oben und sah ihr prüfend ins Gesicht. »Darf dich ja nicht schlagen, bist ja sonst nichts mehr wert. Aber der Spaß ist jetzt vorbei.«
Ohne ihre Haare loszulassen, machte er sich auf den Weg zurück – nicht ohne dem Jungen vorher eine kleine Münze zuzuwerfen und anerkennend zu nicken. »Gut gemacht, Kleiner.«
Widerstand war zwecklos, das war Anne klar. Jetzt konnte sie nicht eine Sekunde länger
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