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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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die Lüge aufrechterhalten, dass sie als hoffnungsvolle Braut nach Neuseeland reiste. Nein. Sie war nur eine besonders wertvolle Ware. Sonst nichts. Und jeder hatte das gewusst. Als Jimmy sie an den Ständen vorbeizerrte, sahen die freundlichen Menschen ihnen nur verwundert hinterher. Anne war klar, dass sie hier nicht mit Hilfe rechnen konnte. Keiner würde sie verstehen, wenn sie jetzt um Hilfe rufen würde. Und Ärger mit den Seeleuten war bestimmt das Letzte, was die Einheimischen hier wollten.
    Mit einem unfreundlichen Hieb in den Rücken sorgte Jimmy dafür, dass sie wieder in dem kleinen Boot landete. Sie sah ihn von der Seite an. »Müsst Ihr das Ardroy sagen?«, hörte sie sich flüstern. »Gibt es keine Möglichkeit, dass wir diesen Ausflug als unser Geheimnis bewahren?«
    »Schlag dir das aus dem Kopf, Kindchen«, grinste Jimmy. »Der Käpten würde mir doch nicht glauben. Schau doch mal dein Kleid und deine Schuhe an. Und die sollen nach einem Spaziergang auf dem Markt so dreckig sein? Vergiss es einfach.«
    Sie sah an sich herab. Das schlammige Wasser tropfte immer noch vom Rocksaum, die Schuhe waren nass und schmierig. Jimmy hatte recht. Ardroy mochte berechnend und widerlich sein – aber ganz sicher nicht dumm.
    Sie kletterte langsam die Leiter empor. Oben empfing sie Ardroy, warf erst ihr einen prüfenden Blick zu und sah dann seinen Matrosen fragend an. Der nickte nur. »Hätte ihr fast geglaubt, dass sie nur ein bisschen rumschauen will. Und dann ist sie plötzlich losgerannt, als wäre der Teufel hinter ihr her. Habe sie erst hinter einem Reisfeld wieder erwischt, lange Beine hat sie ja.« Er zuckte mit den Achseln. »Irgendjemand muss das kleine Geheimnis wohl verraten haben.«
    Ardroy runzelte die Stirn und deutete dann mit einer Kopfbewegung in Richtung der steilen Stufen, die unter das Deck führten. »Auf hoher See kannst du mir ja nicht entkommen, mein kleiner Goldesel. Aber solange wir hier im Hafen liegen, wirst du deine Kammer nicht mehr verlassen. Und das trifft nicht nur für diesen Hafen zu, sondern für alle Häfen, die wir noch anlaufen werden. Ist das klar?«
    Ohne ihren Blick zu heben, nickte Anne und setzte sich in Richtung ihrer kleinen Kammer in Bewegung. Die nassen Rocksäume schlugen ihr dabei gegen die Beine, ihre Knie schmerzten noch von dem Sturz. Der Matrose hatte mit seinen Warnungen recht gehabt – und sie hatte wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für eine Flucht vertan. Was für eine Zukunft wartete da nur auf sie? War es nicht besser, wenn sie ihrem Leben einfach ein Ende bereitete? Sollte sie tatsächlich in Kororareka an ein Freudenhaus verkauft werden …?
    Sie warf sich auf die schmale Pritsche in der Kammer und fing an zu weinen.

KORORAREKA, 1831

    11.
    »Was hätte ich denn tun sollen?« Hilflos sah Anne den Missionar an. »Selbstmord ist eine Todsünde – außerdem hatte ich irgendwie die Hoffnung, dass sich alles doch nur als eine Art Albtraum erweisen würde. Ich bei diesem Master Jameson nur Pasteten backen sollte. Oder doch an einen Mann verheiratet werden sollte, der dafür zahlen wollte. Oder sich doch noch alles zum Guten wenden würde. Irgendwie. Ich bin doch viel zu jung, um meinem Leben einfach ein Ende zu bereiten. Oder?«
    Marsden hob ratlos die Hände. »Ich habe schon davon gehört, dass so mancher Kapitän nicht nur für Tee, Stoffe und Möbel, sondern auch für Nachschub an schönen Frauen sorgt. Welche Frau würde schon freiwillig hierherkommen – es sein denn, um einem noch schlimmeren Schicksal in ihrer Heimat zu entrinnen.« Er sah sie neugierig an. »Darf ich fragen, wie der Rest der Überfahrt verlaufen ist? Ich frage nicht aus Neugier – aber ich würde doch zu gerne wissen, wie Ardroy und seinesgleichen ihre ›Ware‹ frisch halten, bis sie hier ankommen.«
    Sie sah ihn mit einem halbherzigen Lächeln an. »Er kann sich auf den Überlebenswillen der Frauen verlassen. Wer wirft sich schon freiwillig über die Reling, um den sicheren Tod zwischen Haien im salzigen Wasser zu finden? Ich denke, jede Einzelne hofft, dass es aus irgendeinem Grund ein gutes Ende für ihre Geschichte gibt. Niemand kann sich Kororareka vorstellen, der es nicht gesehen hat. Nein, ich wurde ordentlich behandelt. Kein großes Getue mehr, kein Gerede von Verlobung und Zukunft in Neuseeland. Aber ordentliches Essen und viel Zeit an Deck, wenn wir gerade nicht in einem Hafen waren. Nur dann, wenn das Land zum Greifen nahe war und Ardroy befürchten musste,

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