Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
immer eine Köstlichkeit zauberte. Bei diesen Gesprächen hörte Anne aufmerksam zu, hatte eigene Ideen und flocht witzige Bemerkungen und Beobachtungen in alle ihre Antworten. Wenn er dann aber Zärtlichkeiten forderte, kam sie zwar all seinen Wünschen folgsam nach – doch in ihre eigentlich so lebhaften Augen trat ein abwesender Ausdruck, so als ob sie ihren Körper für kurze Zeit einfach verlassen würde. Sie reagierte auf keine seiner Berührungen, ließ alles gleichmütig über sich ergehen und sprach kein Wort mehr. Jedes Mal fragte er sich, wie sie wohl auf einen Mann reagieren würde, den sie freiwillig in ihr Bett aufnahm. Und er stellte sich dann immer vor, dass er dieser Mann sein würde. Wenn da nicht dieses Hindernis Jameson wäre … dann hätte David Wilcox ihr schon seit einigen Monaten erklärt, dass er seine Zukunft mit ihr teilen wolle. Genau diese Art Frauen brauchte man für den Aufbau einer Zukunft in einem wilden Land ohne Regeln und Gesetze. Er musterte noch einmal ihr blasses Gesicht, die Locken, die ihr ungezähmt auf die Schultern fielen. Ihre Wimpern warfen im flackernden Kerzenlicht Schatten auf ihre Wangen. Die Haut wirkte fleckig, sie brauchte dringend mehr Schlaf, mehr Ruhe und auch etwas anderes zum Essen. Langsam reifte in Wilcox ein Plan. Er musste sich entscheiden, jetzt war die richtige Zeit dafür.
Er musste über seine Gedankengänge eingenickt sein, denn als er wieder auf die Couch sah, war sie leer. Eine schmale Hand reichte ihm über die Schulter eine Tasse mit echtem schwarzem Tee. Heiß und dampfend, so wie er sein sollte. Anne setzte sich ihm gegenüber, eine weitere Tasse mit ihren langen, dünnen Fingern fest umschließend.
»Ich dachte, du würdest dich über einen Tee freuen, wenn du aufwachst«, erklärte sie. »Es ist eine kühle Nacht heute.«
Er nickte. Und dann, ohne große Vorreden oder Umschweife, erklärte er: »Wir sollten heiraten. Und anschließend weg, auf keinen Fall hier in Kororareka bleiben. Was meinst du?«
»Wenn du Jameson vorher erschlägst, dann steht dem nichts im Wege«, nickte sie. Sie lachte mit einem bitteren Ton auf. »Unglücklicherweise siehst du nicht aus wie ein Mann, der mal eben einen anderen ins Jenseits befördert.«
Er lächelte. »Nein. Aber mit dem richtigen Plan können wir Jameson überlisten. Er darf nichts merken, bis wir längst über alle Berge sind. Wir sind doch klüger als dieser fette Verbrecher, oder? Aber das Wichtigste ist die Frage, ob du mich überhaupt heiraten möchtest!« Er nahm ihre Hand. »Liebste Anne, erweist ihr mir die Ehre, meine Frau zu werden und mit mir eine Familie zu gründen?«
»Wenn du ein gefallenes Mädchen gerne vor seinem schlimmen Schicksal bewahren möchtest, dann hat dieses Mädchen bestimmt nichts dagegen«, winkte sie ab. »Wer bin ich, dass ich ein so großzügiges Angebot auch nur überlegen kann?«
»Aber es ist mir wichtig!«, beharrte Wilcox. »Du sollst meine Frau werden, weil du mir zugetan bist. Nicht, weil ich deine einzige Chance bin!«
Anne sah ihm gerade in die Augen. »Ich kann dir versprechen, dass ich dir aufrichtig zugetan bin, dass ich dich immer achten werde. Ich werde dich nie betrügen und bin bereit, meinen Teil an unserem gemeinsamen Leben zu schultern. Wir können nur hoffen, dass sich die Liebe dann einstellt – im Moment fühle ich mich aber nicht in der Lage, Liebe zu versprechen. Dieser Teil meines Geistes ist schon lange abgestorben. Wenn dir das als Versprechen reicht, dann werde ich gerne deine Frau und schwöre dir gerne die Treue. Wenn es nicht reicht … dann hoffe ich, dass du mir trotzdem bei einer Flucht hilfst. Denn allmählich zerbreche ich an dem, was ich für Jameson tun muss. Ich kann mich nicht daran gewöhnen. Will ich auch nicht …«
Wilcox erhob sich und nahm Anne in den Arm – ohne an ihren Körper zu denken, sondern nur, um sie zu trösten. Ihre knochigen Schultern bebten unter seiner Berührung, sie schluchzte. Er streichelte ihr den Rücken und murmelte leise: »Doch, dein Angebot ist mehr, als ich jemals zu hoffen wagte. Lass uns Mann und Frau werden, liebe Anne … wir suchen uns einen Flecken hier in Neuseeland, an dem dich niemand kennt und wo wir neu anfangen können.«
Sie schien erst in diesem Augenblick zu begreifen, was er eigentlich vorhatte. Sie lehnte sich etwas zurück und sah ihn aus geröteten Augen an. »Du willst deine Schiffe aufgeben? Den Walfang anderen überlassen?«
»Sicher. Heute ist meine
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