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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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zeigen, meinem Schicksal zu entgehen. Würdet Ihr das denn tun? Versprecht Ihr mir das?« Sie sah ihn flehend an.
    »Wenn du mir dagegen versprichst, dass du nicht Gott dafür verantwortlich machst, dass er dich nicht aus deiner Bedrängnis gerettet hat. Ich bin mir sicher, dass in jedem Leid auch ein großer Plan und ein tiefer Sinn enthalten sind. Womöglich wirst du eines Tages auf dein Leben zurücksehen und zufrieden sein mit der Art, wie es verlaufen ist. Nicht an allem ist unser Herr schuld. Hin und wieder sind es auch die bösen Menschen wie Nathan Ardroy, die den freien Willen des Menschen einfach zu sehr ausnutzen …« Der Missionar bemerkte selbst, dass er ein wenig von seinem wichtigsten Anliegen abgekommen war. »Auf jeden Fall: Versprichst du mir das?«
    Der schwarze Lockenkopf nickte. »Auch wenn ich mir wirklich nicht vorstellen kann, dass ich eines Tages einen Sinn hinter den letzten Monaten sehen kann. Keine Frau kann es verdient haben, so wie ich zu leben.«

KORORAREKA, 1832

    12.
    Sie war eingeschlafen. Hinter den geschlossenen Lidern zuckten ihre Augen noch unruhig hin und her, aber sie hörte ihm nicht mehr zu. David Wilcox sah Anne mit einem liebevollen Lächeln an. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie seinen Ausführungen über die Zukunft Neuseelands schon nicht mehr zuhörte – aber jetzt hatten sich ihre Züge endlich entspannt. Mit einem Mal wirkte sie nicht mehr müde und verbittert, sondern sah aus wie die sorglose junge Frau, die sie einmal gewesen war. Mit einem kleinen Seufzer zog sie ihre nackten Beine nach oben und legte sich auf der kleinen Chaiselongue zur Seite. Ganz offensichtlich erwartete sie von ihm nichts Böses. Er fuhr mit dem Zeigefinger den Bogen ihrer Augenbrauen nach. Bei der Berührung huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, dann kauerte sie sich enger zusammen und schlief noch tiefer weiter.
    Wilcox schenkte sich einen Whisky ein und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Jetzt war es bald ein Jahr her, seit er diese Frau kennengelernt hatte. Damals war er nur auf der Suche nach ein wenig Zerstreuung in das Etablissement von Jameson gestolpert. Warum lebte ein Mann schließlich in Kororareka, wenn er nicht von Zeit zu Zeit die Angebote des Ortes ein wenig nutzte? Sie war ihm sofort aufgefallen. Natürlich wegen ihrer unglaublichen Menge an schwarzen Locken und ihrer Größe. Nicht wenige Männer mussten ihren Kopf in den Nacken legen, um sie überhaupt ansprechen zu können. Aber vor allem beeindruckte Wilcox die überlegene Art dieser Frau. Sie buhlte nicht um die Liebe der Männer, sondern ertrug ihre unbeholfenen Berührungen mit unbewegter Miene. Während viele der anderen Mädchen tranken, Witze mit den Männern rissen und sich sogar an den Kartenspielen beteiligten, hielt diese junge Engländerin sich immer abseits. Es ging das Gerücht, dass es sich um eine verstoßene Adelige handelte. Sie widersprach nicht, wenn sie jemand fragte, sondern zeigte immer nur ihr überlegenes halbes Lächeln mit einer hochgezogenen Augenbraue. Für Wilcox war sofort klar geworden: Diese Frau musste er einfach kennenlernen. Jameson verlangte zwar fast den doppelten Preis, aber das war sie ihm wert.
    Er wurde nicht enttäuscht. Es dauerte ein Weilchen, bis sie mit ihm redete. Wilcox hatte stundenlang von sich selber erzählt, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Anfangs hatte sie nur einzelne Sätze von sich gegeben – aber irgendwann hatte sie ihre Schutzmauer ihm gegenüber sinken lassen. Und es erwies sich: Anne war gebildet, intelligent und begriff die Zusammenhänge schneller als so mancher Seemann. Das allmähliche Verschwinden der Wale führte sie natürlich auf den intensiven Walfang zurück. Sie verstand aber auch sofort, dass die Fahrten in entlegenere Gebiete auch höhere Kosten verursachten – und letztlich in ein paar Jahren auch in diesen Gegenden für kleinere Fangzahlen sorgen würden. Eine neue Methode, um Geld zu verdienen, musste her. »Obwohl Frauen, die ihre Körper verkaufen, sicher immer ein gutes Geschäft sind, würde ich das eigentlich nicht als Geschäftsmodell empfehlen«, hatte sie dazu mit ihrem ganz eigenen bitteren Humor gesagt.
    An manchen Abenden forderte er überhaupt nicht die körperlichen Freuden ein, für die er bezahlt hatte. Stattdessen unterhielt er sich lieber mit ihr. Seine Köchin in seinem Haus, in das er Anne heimlich kommen ließ, bereitete ihnen ein feines Mahl, bei dem sie aus den heimischen Gemüsesorten und frischem Fisch

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