Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
davon zu haben, was echtes Glück wohl bedeuten mochte. Langsam bewegte sich das Ruderboot um die Festlandsnase herum und erreichte die etwas unruhigere See, die nicht von der Bucht geschützt wurde. Hier hatte Wilcox ein weiteres Schiff ankern lassen. Das hatte allerdings erst vor wenigen Stunden seinen Anker geworfen – und die Mannschaft hatte die Anweisung, noch in dieser Nacht wieder die Segel zu setzen. Richtung Süden, das war alles, was Anne wusste. Kororareka lag am nördlichen Ende von Neuseeland, hier lebten fast alle weißen Siedler. Aber im Süden warteten Hunderte von Kilometern an unentdeckten Küsten, Bergen, Wiesen und Fjorden auf sie. Orte, an denen noch kein weißer Mensch gewesen war und an denen sie niemals jemand suchen würde. Sie und ihr Mann würden einfach von der Bildfläche verschwinden und an einem einsamen Ort ihren Frieden genießen. Sicher, hin und wieder würden sie wohl eine Ansiedlung besuchen, um sich Tiere, Stoffe, Decken und Ähnliches zu kaufen. Aber den größten Teil des Jahres würden sie nur zu zweit sein.
Endlich erreichten sie ihr Schiff. Wilcox kletterte für einen Mann seines Alters erstaunlich behände an Bord und reichte Anne eine Hand, um ihr über die Reling zu helfen. Wieder hielt er ihre Hand einen Augenblick länger, als es wirklich nötig gewesen wäre, und lächelte ihr zu. »Jetzt brechen wir in eine wunderbare Zukunft auf«, flüsterte er ihr zu.
Dann winkte er seinen Seeleuten herrisch zu. »Segel setzen! Kurs Süd!« Und während sich die Segel allmählich entfalteten und in der leichten Nachtbrise blähten, drehte sich die Nase des Schiffes in Richtung Kreuz des Südens, das Zeichen für jeden Seemann in dieser Gegend der Welt, dass er gen Süden unterwegs war.
Wilcox griff nach ihrer Hand. »Komm«, sagte er und lächelte sie mit zärtlichem Besitzerstolz an. »Meine Männer wissen, wo es hingeht, wir können es uns in meiner Kajüte bequem machen.«
Sie folgte ihm die Treppen nach unten, und als er sie in seine Arme schloss, verdrängte sie alle bösen Erinnerungen und Gefühle. Dieser Mann war gut für sie und gut zu ihr. Auch wenn sie ihn nie lieben würde: Sie würden ein angenehmes Leben führen.
Als sie später neben ihm auf dem engen Bett lag und sein freundliches schlafendes Gesicht sah, schwor sie sich: Diesen Mann wollte sie nie verletzen – egal, was da in der Zukunft passieren sollte. Er hatte sie aus dem Schmutz geholt und liebte sie aufrichtig, trotz all der Dinge, die ihr schon widerfahren waren. Mit einem leisen Seufzer legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Er lächelte im Schlaf, legte einen Arm um sie und zog sie etwas näher an sich. Und Anne wagte es endlich, ihre Augen zu schließen und sich auszuruhen.
TEIL II
DORSET, 1831
14.
»Egal, was du anstellst: Ich werde sie nicht heiraten!« Gregory sah seinen Vater mit funkelnden Augen an. »Es mag sein, dass es dir gelungen ist, die eine Frau, die ich aufrichtig geliebt habe, aus meinem Leben zu verbannen. Aber es wird dir nicht gelingen, dass ich dieses kinn- und hirnlose Wesen vor den Altar ziehe. Ich möchte nicht jede Nacht das Gefühl haben, dass ich wie ein Preisbulle einer bezahlten Tätigkeit nachgehe!«
Mallory hob eine Augenbraue und musterte seinen Sohn von oben bis unten. »Ich habe eingesehen, dass du erst einmal über diese unglückselige Liaison mit diesem Courtenay-Mädchen hinwegkommen musstest. Habe dir Zeit gelassen, dich nicht bedrängt. Aber jetzt ist es ein Jahr her, dass sie Dorset verlassen hat. Als Verlobte eines Kapitäns, wenn ich dich erinnern darf! Das Mädchen hatte offensichtlich keine Probleme, sich neu zu verbinden. Wenn du mich fragst, lebt sie längst glücklich am anderen Ende der Welt – hat wahrscheinlich sogar schon einen Balg an der Brust hängen. Und du weinst ihr immer noch nach? Eine Treue, die dir keiner dankt!«
Gregory schüttelte den Kopf. »Du willst es einfach nicht begreifen, oder? Anne musste mit diesem Kapitän gehen, weil weder du noch ihre Eltern ihr eine andere Chance gelassen haben! Dir geht es doch immer nur ums Geld …«
»Weil es das Einzige ist, was wirklich zählt. Was hätte deine Anne denn mitgebracht? Die Liebe erlischt nach ein paar Jahren, aber ein Leben im Wohlstand ist auch dann noch schön, wenn man sich für ein paar nette Stunden eine Frau in London suchen muss … Du bist ein Träumer, mein Sohn!« George Mallory sah seinen Erstgeborenen zornig an. »Und es wird Zeit, dass du endlich Vernunft
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