Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Vater würde ihm wohl kaum ein Billett lösen, das eine bequeme Reise ermöglichte. Und seine eigenen Ersparnisse waren mehr als übersichtlich – warum sollte er als alleiniger Erbe dieses Anwesens auch Reichtümer anhäufen? Ihm würde ohnehin eines Tages alles gehören. Nachdenklich sah Gregory auf seine Hände. Sie waren gewohnt, Zügel zu halten – aber das war auch schon alles. Ansonsten zeigten seine langen Finger und die gepflegten Fingernägel keine Spuren von harter Arbeit.
Er seufzte leise. Seine Fähigkeiten im Umgang mit Pferden und sein Wissen über die Zucht von Vollblütern würden ihm also kaum etwas einbringen. Sein Wissen über die Seefahrt war gering. Nicht vorhanden, wenn er ehrlich war. Es gab Himmelsrichtungen, Winde, Strömungen und Stürme. Niemand würde ihn auf einem Handelsschiff als Offizier anstellen.
Aber womöglich gab es einen Weg, wenn er sich um eine Anstellung in der Marine Ihrer Majestät bemühte? Die Flotte war umfangreich, und mit den ständig zahlreicher werdenden Kolonien war die königliche Marine auf allen Weltmeeren unterwegs. Mit seinem Namen sollte es ihm doch möglich sein, eine Aufnahme in die Marine zu erreichen. Das war auf jeden Fall bequemer als die Reise auf einem Handelsschiff oder gar auf einem Walfänger, das war sicher.
Er sah sich suchend in seinem Zimmer um. Sein Entschluss stand fest, er hatte schon viel zu lange in Selbstmitleid gebadet und dabei wertvolle Zeit vertan. Bevor er sich in eine unglückliche Zweckehe mit einer Catherine Marcheston stürzte, wollte er wenigstens sicher sein, dass nicht irgendwo ein größeres Glück auf ihn wartete. Was wollte er also mitnehmen? Sein Blick fiel als Erstes auf ein kleines Medaillon, das Anne ihm in glücklicheren Tagen geschenkt hatte. Es zeigte auf der einen Seite ihr Gesicht – vom Maler recht gut getroffen mit den Locken, den Sommersprossen auf der hellen Haut und den dunkelgrünen Augen. Nur das angriffslustige Glitzern fehlte, ebenso wie das beständige Lächeln, das normalerweise ihre Lippen umspielte. Außer bei ihrem letzten Treffen, im Stall. Da war das Lächeln einem bitteren Zug um ihren Mund gewichen. Und die Augen blickten damals matt und ohne Leben. Warum nur hatte er nicht darauf bestanden, mit ihr zu fliehen? Stattdessen hatte er sie ziehen lassen, direkt in die Arme dieses wildfremden Kapitäns.
»Weil ich ein Idiot bin«, sagte er leise vor sich hin. »Ein gewaltiger Idiot. Aber jetzt sorge ich dafür, dass alles wieder gut wird, das verspreche ich.«
Entschlossen öffnete er seinen großen Schrank und fuhr mit dem Finger über die gebügelten und gestärkten Hemden, die das Dienstmädchen ordentlich zusammengelegt hatte. Dazu die Westen, zum Teil wattiert, damit er an den kühleren Wintertagen nicht fror. Sicher sinnvoll, wenn man im nördlichen Atlantik unterwegs war. Ein Mantel aus dicker Wolle, mehrere Hosen aus starkem Stoff, stabile Lederschuhe. Er musste nur noch einen Weg finden, das Anwesen seiner Eltern mit einem großen Reisekoffer unbemerkt zu verlassen. Gregory lächelte zuversichtlich. Er hatte genügend Freunde unter den Adeligen in der Gegend, die für jeden Streich zu haben waren. Nicht wenige davon waren am nächsten Tag auf diesem unseligen Ball, zu dem er das Marcheston-Mädchen begleiten musste. Sein Vater hatte keine Ahnung, wie gut er diesen Abend für seine Zukunft nutzen würde. Pfeifend zog Gregory sich eine Wolljacke für das Abendessen über. Ab sofort würde er jedem Streit mit seinem Vater aus dem Weg gehen. Zumindest bis zu dem Augenblick, an dem er einfach aus seinem bisherigen Leben verschwinden würde …
»Was hast du vor?« Cedric beugte sich mit leuchtenden Augen nach vorne. »Habe ich das richtig verstanden? Du willst zur Marine?«
»Klar. Ich habe keine Lust mehr, mich von meinem Vater herumkommandieren zu lassen. Er behandelt mich nicht besser als einen Pferdeknecht. Und weißt du, was seine neueste Idee ist?« Gregory senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ich soll die da heiraten!« Er sah vielsagend zu Catherine Marcheston hin, die in diesem Augenblick nervös an ihren sorgfältig ondulierten Locken zupfte und sich bemühte, möglichst gelassen in die Runde zu sehen. Ein Unterfangen, das ihr gründlich misslang. Sie bemerkte Gregorys Blick und winkte ihm hektisch zu – dabei erwischte sie das Weinglas, das vor ihr stand, und schleuderte den Inhalt ihrer Mutter in den Schoß.
Gregory hatte fast Mitleid mit diesem
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