Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
annimmst. Morgen wirst du die kleine Catherine Marcheston auf diesen Ball begleiten, ob es dir passt oder nicht. Und deine Mutter und ich werden mitkommen und jede deiner Bewegungen beobachten. Und wehe, ich sollte sehen, dass du dieses Mädchen schlecht behandelst.« Seine Stimme wurde leise und drohend, als er weiterredete. »Hör endlich auf, nur nach den äußeren Schönheiten zu suchen. Auch die schöne Anne hätte in dreißig Jahren nur noch dünne graue Locken, Falten und einen Bauch. Catherine mag unansehnlich sein – aber die ist wenigstens für immer dankbar, wenn sie einen Mann wie dich ergattert. Und macht dir sicher keine Szene, wenn du mal einem anderen Rock nachsiehst …«
Gregory senkte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, wie wenig dir am Glück deines einzigen Sohnes liegt«, murmelte er. Er wusste, wann er einen Streit mit seinem Vater verloren geben musste.
»Und du hast keine Ahnung, wie sehr es mir gerade daran liegt. Mit meiner Lebenserfahrung weiß ich nur, dass Glück oft etwas anderes ist, als man in deinem Alter glaubt. Vertrau mir, mein Sohn.« George Mallory sah, wie sein Sohn langsam nickte, und wandte sich befriedigt ab. »Wir sehen uns später zum Abendessen. Dann können wir auch besprechen, was es Neues auf dem Courtenay-Gut gibt. Wie ich höre, ist einer der Jährlinge sehr vielversprechend …«
Das war er. Aber Gregory fühlte in diesem Augenblick kein Verlangen, über die schnellen Beine eines Pferdes zu sprechen. »Wir reden beim Abendessen darüber«, sagte er nur und machte sich auf den Weg in sein Zimmer. Es war ein großer Raum in einem der oberen Stockwerke, aus dem man einen weiten Blick über die sanft geschwungenen Weiden hatte. Normalerweise beruhigte ihn der Anblick von grasenden Stuten, spielenden Fohlen und vor übermütiger Kraft strotzenden Jährlingen. Heute nahm er nichts wahr, sah mit blinden Augen in die Ferne.
Zehn Monate war es her, dass Anne mit diesem Ardroy verschwunden war. Er hatte nichts von ihr gehört, natürlich nicht. Selbst wenn sie ihm einen Brief schreiben würde – woran er wirklich nicht glaubte –, dann würde das Schreiben frühestens nach drei oder vier Monaten hier in England sein. Und warum sollte sie ihm schreiben? Anne war zu feinfühlig, um ihm von ihrem Glück zu berichten, das sie hoffentlich gefunden hatte. Sollte es ihr allerdings schlecht gehen … dann war sie sicher zu stolz, darüber zu klagen. Was hatte sie von ihm schon zu erhoffen? Ganz sicher keine Rettung, er taugte nicht zum Ritter in schimmernder Rüstung.
Aber warum ging ihm dieses Mädchen nicht aus dem Kopf? Egal, wo er hinkam, immer ertappte er sich dabei, dass er nach dem Kopf mit den schwarzen Locken suchte. Manchmal stockte ihm der Atem, wenn eine besonders dünne und große Frau irgendwo vorbeilief, so sicher war er sich dann, dass er Anne entdeckt hatte. Aber natürlich war jedes dieser »Wiedersehen« nur eine Sinnestäuschung, nur ein Wunschdenken von seiner Seite. Er fuhr sich durch seine halblangen Haare. Sein Vater hatte recht. Es wurde Zeit, dass er aufhörte, hier in England seiner vergangenen Liebe nachzutrauern. Die Zukunft, das war die einzige Zeit, die wirklich zählte – und die sollte er allmählich in beide Hände nehmen.
Was würde denn sein, wenn er seine Anne noch einmal sah? Entweder es ging ihr gut, sie war glücklich, und er konnte sich einer neuen Frau zuwenden. Oder es ging ihr schlecht. Dann konnte er dafür sorgen, dass sie ihrem schlimmen Schicksal entkommen konnte. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er dieses Wissen allerdings brauchte – und sei es nur, damit er wieder unbeschwert an sein eigenes Leben denken konnte. Er musste seine große Liebe wiedertreffen, koste es, was es wolle. Jahrelang war er sich ihrer Liebe und ihrer gemeinsamen Zukunft viel zu sicher gewesen, ihm war nie im Entferntesten der Gedanke gekommen, dass er um sie kämpfen müsste. Aber jetzt ahnte er, dass das der einzige Weg war, den er einschlagen konnte.
Das klang allerdings einfacher, als es wirklich war. Er wusste von Anne nur, dass sie »irgendwo in Neuseeland« war. Zwei große Inseln im Pazifik. Die waren allerdings, nach allem, was er gehört hatte, so dünn besiedelt, dass er nur lange genug herumfragen musste, um Anne zu finden. Sie war schließlich eine auffallende Erscheinung, daran änderte auch eine exotische Umgebung nichts. Dieses Problem würde sich also lösen lassen.
Schwieriger war die Sache mit der Überfahrt. Sein
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