Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
eifrig. »Darauf freue ich mich besonders. England ist wunderschön, aber ich kann es gar nicht erwarten, endlich all die anderen Länder zu sehen, die zur Krone gehören!«
Sein Gegenüber sah ihn mit einem mitleidigen Lächeln an. »Sir, Ihr werdet schnell genug merken, dass es sich meistens um zu heiße Orte handelt, die lediglich von Wilden und waghalsigen Abenteurern bevölkert werden, die wenig von Gesetzen halten. Es plagt einen das Wechselfieber und quält einen das unverträgliche Essen. Ich kann nicht verstehen, was daran erstrebenswert sein sollte – aber das ist ja auch nicht meine Aufgabe. Ich freue mich, wenn es so begeisterte junge Männer gibt, wie Ihr einer seid.« Er blickte auf das Papier, das vor ihm lag. Dann sah er Gregory noch einmal prüfend an. »Gesund sind Sie also?«
Gregory nickte.
»Dann«, der Mann tropfte ein wenig Wachs auf ein Schriftstück, drückte sein Siegel darauf und reichte Gregory das Papier, »heiße ich Euch herzlich willkommen in der Navy Ihrer Majestät. Meldet Euch beim Kapitän der HMS Mercury . Sie liegt im Augenblick am Pier in Plymouth und wird in wenigen Tagen in See stechen. Der Kapitän wird Euch einweisen und unterrichten. Und Ihr wisst ja: Es dauert mindestens zwei Jahre, bis Ihr selbst ein Kapitänspatent Euer Eigen nennen könnt.«
»Wohin soll die Mercury denn segeln?« Gregory konnte seine Aufregung nicht unterdrücken. Zum ersten Mal in seinem Leben wagte er wirklich etwas – ganz ohne die Sicherheit, seinen Vater im Rücken zu haben. Der war im Moment der Meinung, dass sein Sohn mit seinem Freund Cedric einen Ausflug nach London unternahm, von dem er erst in ein paar Tagen zurückkehren würde. Dafür hatte ihm der alte Herr sogar einige Münzen in die Hand gedrückt und verschwörerisch geblinzelt, während er etwas von den willigen Mädchen in der großen Stadt murmelte. Bis ihm auffiel, dass sein Sohn wohl eher an der weiten Welt als an dem Rock einer Londoner Dirne interessiert war, würde Gregory schon unerreichbar auf offener See in Richtung Zukunft segeln.
»Die Kolonien im südlichen Afrika. Die Neger machen uns Ärger, und die Siedler am Kap brauchen vielleicht unsere Hilfe. Wilde. Womöglich bleibt uns doch nichts übrig, als einfach alle zu töten.« Dazu machte er eine Geste an seinem Hals, die keine Missverständnisse aufkommen ließ, dass er die Ausrottung einer Bevölkerung für eine abgemachte Sache hielt.
Gregory schluckte. Afrika. Damit hatte er eigentlich nicht gerechnet.
DIE KÜSTE VOR SÜDAFRIKA, 1831
15.
Land. Gregory sah dem grünen Streifen am Horizont mit einem nahezu unstillbaren Verlangen entgegen. Seit zehn Wochen war er an Bord der HMS Mercury , die ersten drei Wochen an Bord erinnerte er sich nur an eine alle anderen Empfindungen auslöschende Übelkeit. Nicht einmal ein Schluck Wasser war in seinem Magen geblieben, er hatte mehrere Male damit gerechnet, die Nacht nicht zu überstehen. Da halfen die wohlmeinenden Ratschläge seiner Kameraden wenig. Die reichten vom kräftigen Alkoholgenuss über rohe Eier – die es an Bord allerdings nicht gab – bis hin zum Trinken des eigenen Urins. Gregory hatte keines davon ausprobiert, sich nur auf seine Koje gelegt und einfach gehofft, dass es vorbeigehen würde.
Und das war es auch. An einem Tag mit ruhigem Seegang und wenig Wind hatte er plötzlich ein wenig Brot essen können – und alle Seeleute versprachen ihm, dass es nie wieder so schlimm werden würde. »Wir haben alle am Anfang gelitten«, versicherten sie ihm, und doch fürchtete Gregory jeden Morgen, dass sein Magen wieder rebellieren könnte. Der Mann, der an diesem Morgen die näher kommende Küste begutachtete, war um einiges dünner als der sorglose junge Mann, der sich in London dem Kapitän der Mercury vorgestellt hatte. Dabei war es ihm vergleichsweise gut ergangen. Die einfachen Matrosen mussten hart arbeiten und bekamen nur Schiffszwieback und ranzigen Speck als tägliche Ration. Für die Offiziere und auch die Offiziersanwärter sah die Speisekarte schon etwas abwechslungsreicher aus. Und am Schrubben des Decks oder an den Ausbesserungsarbeiten an den Segeln irgendwo hoch oben in der Takelage musste er sich ohnehin nicht beteiligen.
Stattdessen erklärte der Kapitän seinem jüngsten Anwärter mit großer Geduld das korrekte Navigieren, die Richtungsbestimmung in sternlosen Nächten und das Segeln bei Sturm, Regen oder ungünstigen Winden. Und von denen hatten sie reichlich genossen – die
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