Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
Vom Netzwerk:
dem Fiebertraum eines Mannes, der vom Paradies phantasierte: schneeweiße Strände, Palmen, fröhlich winkende Menschen.
    Sie gingen nirgends an Land, sondern hielten strikten Kurs gen Indien. Die Botschaften des Königs mussten so schnell wie möglich überbracht werden. Von ihrer lebenden Fracht unter Deck bekamen sie selten etwas zu sehen. Nur an den völlig ruhigen Tagen ihrer Überfahrt durften sich einige von ihnen an Deck bewegen. Schon bald bemerkte Gregory allerdings eine schmale rothaarige Frau, die sich immer nur an die Reling klammerte und mit verzweifelter Miene die Wellen ansah. Dabei bewegten sich unablässig ihre Lippen, so als ob sie ohne Unterlass betete oder einen fernen Gott verfluchte. Gregory ertappte sich schon nach kurzer Zeit bei dem Wunsch, wenigstens einmal zu hören, was sie da so beständig vor sich hin brabbelte.
    Die Chance ergab sich, als sie sich Bombay näherten. Der Kapitän hatte Gregory damit beauftragt, die Unterkünfte der Gefangenen zu inspizieren. »Wir wollen ja nicht, dass da unten irgendwelche Seuchen ausbrechen«, hatte er erklärt.
    Als Gregory die Treppe herunterkam, wurde ihm klar, was der Kapitän damit gemeint hatte. Es stank nach Schweiß, Fäkalien und irgendwie auch nach verrottetem Gemüse oder Fäulnis. Seine Nase blähte sich, während sein Magen gegen diesen Angriff rebellierte. Er sah sich um. Die Gefangenen saßen eng aneinandergedrängt, ein Eimer in der Ecke diente wohl als Behältnis für ihre Notdurft. Aber dieses verrottete Zeug? Entschlossen machte er sich auf, um mit einem der höheren Offiziere zu sprechen.
    »Wir sollten sie alle auf Deck setzen und dann mit einem Eimer ihre Unterkünfte durchspülen. Bei der Hitze ist das schnell wieder trocken – und ich denke, wir können so Seuchen und Ähnliches verhindern!«
    Der Offizier sah ihn abschätzig an. »Eine Fahrt in die Gefangenschaft ist keine Luxusreise. Ein bisschen Dreck müssen die schon verkraften.«
    »Ich dachte eher an Eure Gesundheit – und damit auch an unsere«, versuchte Gregory sich zu verteidigen. »Es macht doch keinen Sinn, wenn wir kranke Menschen abliefern. Sie sollen schließlich helfen, diese Kolonie zu bevölkern.«
    »Macht doch, was Ihr wollt«, winkte der Ofizier ab. »Wenn ich mir dabei die Hände nicht schmutzig machen muss, habt Ihr meinen Segen.«
    Bevor er es sich anders überlegen konnte, ging Gregory nach unten. »Wir wollen hier unten mal gründlich sauber machen. Geht an Deck und setzt euch alle um den Hauptmast. Wer sich rührt, muss mit einer Prügelstrafe rechnen. Habt ihr das verstanden?«
    Einer wie der andere nickte und erklomm langsam die Leiter in Richtung Deck. Die zwei Kräftigsten hielt Gregory bei sich, damit sie die Arbeit erledigen konnten. Die beiden Frauen verließen das Gefangenendeck wieder als Letzte. Die Rothaarige ging mit abwesendem Blick an Gregory vorbei. »Nur einmal noch will ich sie sehen, einmal noch mein Baby, einmal noch. Bitte, lasst sie mich doch sehen, dann will ich auch nie wieder klagen, aber einmal noch mein Mädchen. Oh, seid doch nicht so …« Damit verschwand sie nach oben.
    Er sah ihr überrascht hinterher. Hatte man wirklich eine Mutter von ihrem Kind getrennt? Oder hatte er sich geirrt, und sie redete von einem ihrer Liebhaber? Mit einem Kopfschütteln vertrieb er die Gedanken an das geisterhafte, eintönige Geplapper der Frau. Stattdessen deutete er auf zwei Eimer. »Ihr leert jetzt euren Eimer mit dem Unrat aus und holt euch Seewasser. Damit wischt ihr das Deck gründlich aus. Alles, was ihr an Unflat, Unrat und Verdorbenem seht, sollte weggeworfen werden. Habt ihr mich verstanden?«
    Einer der beiden deutete auf die kleinen Bündel, die an den Wänden standen. »Und was machen wir damit? Das sind die wenigen Habseligkeiten, die uns gehören. Das sollte nicht nass werden, bei keinem von uns.« Seine Sprache war fast ohne einen Dialekt und wirkte für einen Verbrecher fast gebildet.
    »Dann heb es auf, und leg es auf die Treppe.« Er sah ihn neugierig an. »Darf ich fragen, was dich auf diesen Transport gebracht hat?«
    Der Mann zuckte mit den Schultern. »Dürft Ihr, ist nichts, was einem Mann peinlich sein muss. Ich hab ein Reh geschossen, das eigentlich dem König gehört. Aber der hat doch genug, und meine Familie hatte Hunger … so haben sie zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder Fleisch bekommen. Mein kleiner Junge hatte richtig rosige Wangen …« Seine Stimme brach ab.
    »Wer kümmert sich jetzt um die

Weitere Kostenlose Bücher