Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
von Trost und Gebeten sprach.
Das Gegenteil war das Ergebnis.
»Dieser Gott hat sich noch nie um mich gekümmert! Nur ich kann mein Kind beschützen vor allem, was ihm in dieser Welt widerfahren kann. Ich muss zu ihm!« Mit einem letzten energischen Ruck riss sie sich von den beiden Männern los, rannte auf die Bordwand zu, raffte ihre Röcke im Lauf nach oben und sprang mit einem einzigen Satz auf die Reling. Hier verharrte sie für einen Augenblick, so als ob sie sich nicht entscheiden könnte, jetzt tatsächlich zu springen. Dann wandte sie sich in den Wind, breitete die Arme aus und ließ sich in die Fluten fallen. Mit einem einzigen satten Klatschen verschluckte der Ozean ihren blassen, mageren Körper.
Gregory stand wie vom Donner gerührt und sah nach unten. Sie musste doch einfach wieder auftauchen!
»Na, diese Reinigungsaktion war mal ein voller Erfolg«, erklärte der Offizier, der die Säuberung des Decks genehmigt hatte, neben ihm. »Jetzt haben wir nur noch dreiundzwanzig Gefangene – und Frauen sind besonders wertvoll. Die fehlen da unten, angeblich behelfen die Männer sich sogar schon mit den schwarzen Frauen. Ekelhaft. Da wäre so eine Frau wie diese hier sicher eine Bereicherung gewesen. Egal, wie wahnsinnig sie war.« Er drehte sich um und verschwand in Richtung Kapitänskajüte. »Ich erzähle dem alten Herrn mal, was hier passiert ist. Aber macht Euch keine Sorgen: Euch trifft keine Schuld. Wir wollen schließlich kein totes Kind an Bord. Das wird dann womöglich zu einem Klabautermann, weiß man ja nicht. So ein Schiff kann schnell zu einem verfluchten Kahn, einem Geisterschiff werden.«
Auch die anderen wandten sich wieder ihren Tätigkeiten zu, nur eine Minute später wirkte es so, als sei die Rothaarige nie von Bord gesprungen. Nur in Gregorys Gedächtnis hatte sich das Bild der schwankenden, taumelnden, fallenden Frau auf der Bordwand für immer eingeprägt. Wie weit war das Mutterliebe, was daran der reine Wahnsinn – und welcher Richter hatte eine schwangere Frau dazu verurteilt, nach Australien zu segeln? Wer war nur der Vater dieses unglückseligen Kindes – und war es womöglich ein Fehler gewesen, es einfach über Bord zu werfen wie einen lästigen Sack voller Abfall?
Langsam ließ er sich auf einen Stapel Taue sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen. Er hatte gewusst, dass seine Suche nach Anne mit vielen Abenteuern verbunden sein würde – aber er hatte nicht so sehr damit gerechnet, in die Abgründe der menschlichen Seele zu blicken. Er seufzte. Wohin würde ihn diese Reise nur führen?
TASMANIEN, HOBART. 1832
16.
Dies war der Ort, an dem er die Mercury verlassen musste. Das Schiff würde nicht weiter nach Neuseeland reisen, da war er sich sicher. König Wilhelm hatte in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass er nicht an einer weiteren Kolonie interessiert war, die nur Geld kostete und sicher erst nach Jahrzehnten einen Gewinn abwerfen würde. Und – welcher Gewinn war schon von einem Land zu erwarten, das bis jetzt nur Waltran und Robbenfelle exportierte?
Immerhin war das Glück auf Gregorys Seite gewesen. In Neusüdwales hatten sie erfahren, dass die Gefangenen nach Tasmanien verbracht werden sollten – Van-Diemens-Land: die Männer mit den schweren Vergehen in das Lager bei Port Arthur, die Frau als Haushälterin in einen der Offiziershaushalte in Hobart. Sie würde das Leben einer Gefangenen nie kennenlernen – allerdings war ihr die Umwandlung der Gefängnisstrafe nur gegen einen sehr viel länger währenden Vertrag als Haushälterin angeboten worden. Es war genauso, wie es der Offizier nach dem Selbstmord der Rothaarigen erklärt hatte: Frauen waren Mangelware in den Kolonien am anderen Ende der Welt. Da war es dann ziemlich egal, wenn sie ein paar Groschen oder Brote gestohlen hatten. Viel wichtiger war ihre Fähigkeit, in einem männlichen Haushalt die Versorgung zu schaffen. »Hier kann sich jeder Mann glücklich schätzen, wenn er eine Frau aus der Heimat findet, mit der er eine Familie gründen kann«, hatte der Kapitän erklärt.
Jetzt war das Deck mit den Gefangenen verwaist, sie ankerten im Hafen von Hobart, füllten ihren Proviant auf, die Mannschaft freute sich darauf, dass es dann wohl endlich zurück in die Heimat ging. Nur Gregory sah nachdenklich vor sich hin. Nach mehr als einem Jahr in den Diensten der Navy waren ihm seine Kameraden ans Herz gewachsen, das Leben an Bord war ihm so vertraut wie einst das Leben in einem
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