Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
die beiden Männer auch nicht. Ihre Heimat war die See, von ihr hatten sie Ahnung. Und sonst von nichts. Zumindest ganz bestimmt nicht davon, was man mit ein bisschen Land in Neuseeland anstellen könnte.
Die anderen entließen uns mit einer ordentlichen Menge an Pökelfleisch, Zwieback, zwei Zimmermannsäxten und zwei Gewehren, dazu einiges an Munition. So standen wir am Strand und träumten von unserem neuen Leben.
Was soll ich sagen? Wir merkten schon bald, dass wir nicht alleine waren. Immer wieder tauchten Maori auf und beobachteten uns. Sie wollten uns nichts Böses, sie sahen nur nach, was wir machten. Sahen, wie wir uns Hütten bauten und eine Lichtung rodeten, die an einem kleinen Wasserlauf lag. Einmal brachten uns die Frauen sogar einen Korb voller Kumara. Heute weiß ich, dass wir sie hätten anbauen sollen. Oder danach fragen, woher diese Knolle kommt. Wir haben uns damals einfach gefreut und die Dinger aufgegessen – nachdem wir endlich rausgefunden hatten, wie man sie eigentlich essen kann. Wir haben auch Beeren, Muscheln, Vögel und Fische erlegt. Es ging uns nicht einmal schlecht. Selbst als der Winter kam, hatten wir noch genug.
Aber eines wurde uns allen klar: Wir hatten keine Stoffe für Kleidung – und auch keine Möglichkeit, an Wolle zu kommen. Noch trugen wir das, womit wir angekommen waren. An einem nicht mehr allzu fernen Tag würde uns das allerdings vom Leib fallen. Das Leder der Tiere war hart, wir hatten keine Ahnung, wie man es gerben könnte.
Dann wurde Angel krank. Sie war so schön und blond wie ihre Mutter – und als sie mit hochroten Wangen auf ihrem Bettchen lag, da sah sie aus wie ein Engel. Sie kämpfte so sehr um ihr Leben … Das kleine Ding wollte einfach nicht sterben. Rang nach Luft, wenn wir schon der festen Meinung waren, dass jetzt endgültig das Ende nahe war. Wieder tauchten Maori auf. Brachten warme Decken und einen Tee, der wirklich half. Nur mit ihrer Hilfe konnte Angel sich langsam wieder ins Leben zurückkämpfen. Es dauerte Wochen und Wochen – diese Zeit hat Kitty verändert. Sie hatte genug von der Wildnis und erklärte uns, dass in anderen Gegenden der Welt sicher mehr Glück auf sie warten würde als ausgerechnet hier an diesem gottverlassenen Ort im Pazifik.
Jetzt ist es natürlich nicht so wie in einem Hafen, an dem regelmäßig ein Schiff anlegt, das man um eine Passage bitten könnte. Im Gegenteil. An diesem Kap kamen damals im Jahr nur ein bis zwei Schiffe vorbei. In manchen Jahren auch gar keins. Und wie sollte man diesen Schiffen klarmachen, dass hier Schiffbrüchige darauf warteten, endlich wieder unter Menschen zu kommen? Kitty fasste aber einen Entschluss, von dem ich und mein Jeremiah nichts ahnten.
Bis sie eines Morgens nicht mehr da war. Nick, Kitty und Angel hatten sich davongemacht. Mit dem Rest unseres Proviants und den wenigen Dingen, die wir uns gesammelt hatten. Kein Wort hatte sie gesagt – und das nach allem, was wir zusammen erlebt hatten. Ich war so enttäuscht. Hatte sie so sehr Angst, dass ich sie zurückhalten würde? Ich weiß es nicht. Auch nicht, ob sie jemals da angekommen ist, wo sie immer hinwollte: Amerika. Wer weiß, vielleicht ist sie schon in der nächsten Bucht ausgerutscht und blieb dort für immer liegen.
Sie war vier Jahre lang meine einzige Vertraute, meine Freundin und meine Schicksalsgenossin. Keine Ahnung, warum sie mir nicht vertraut hat. Wir haben doch so oft davon gesprochen, was wir uns von unserem Leben in der Wildnis erhoffen. Wie sehr wir doch daran glauben, dass es uns gelingen könnte, Fuß zu fassen. Welche Möglichkeiten wir wohl hätten, um an ein paar Schafe und ein paar Meter Stoff zu kommen. Und immer wieder haben wir uns gegenseitig gesagt, dass ein Nachmittag, den wir am Strand verbrachten, bei dem uns der Wind durch die Haare fuhr und die Sonne die Haut wärmte – dass so ein Nachmittag alle Mühsal immer wieder wettmachte.
Heute weiß ich, wir hätten die Maori viel früher um Rat fragen sollen – aber was hilft mir das jetzt? Mit ihrer Hilfe hätten wir es wirklich geschafft. Auch so, dass Kitty und die Männer glücklich geworden wären.
Die Männer? Ja. Jeremiah wollte auch nicht bleiben. Hat er mir dann gesagt. Ist aber geblieben. Da hinten, unter dem Baum. Da liegt er jetzt bald zwanzig Jahre, mein Jeremiah. Hat sich ganz harmlos das Bein aufgekratzt. Er wollte mir ein paar Paua holen, von den Felsen am Kap. Und dann hat er nicht aufgepasst, ist ausgerutscht und hat sich
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