Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
das Schienbein blutig gemacht. Sah am Anfang gar nicht schlimm aus – und mein Jeremiah hat gelacht und gesagt, dass es gar nicht wehtut. Hauptsache, er sieht mich glücklich und satt.
Nach zwei Tagen ist dann gelber Eiter aus der Wunde gekommen. Hat sich wohl entzündet unter dem Schorf. Da haben wir uns auch noch nichts gedacht. Er hat ein bisschen dran rumgedrückt, bis der Eiter weg war. Normalerweise wird das dann doch gut, oder? Aber am nächsten Tag lief es ihm das Bein herunter und fing an, komisch zu riechen. Dann kam Fieber dazu. Er erzählte wirres Zeug. Dass er endlich weg wollte aus dieser Wildnis. Einen Pub in Kororareka eröffnen – davon hat er in seinen letzten Stunden immer wieder gefaselt. Ich habe ihm die Hand gehalten, ihn mit Meerwasser gekühlt, damit das Fieber weniger wird und ihn nicht von innen verbrennt. Aber es war, als ob ich das Wasser auf einen heißen Stein kippen würde. Er glühte. Rief nach seiner Mama, während sein Bein plötzlich schwarz wurde und so schrecklich stank, dass ich es kaum in der Hütte mit ihm ausgehalten habe. Ich habe gewusst, dass ich ihn verlieren würde. Es gibt kein Mittel gegen den Wundbrand. Hab zwar mal gehört, dass es helfen soll, wenn man das Bein einfach abschneidet. Aber wie hätte ich es dann verbinden sollen? Und mit unseren stumpfen Äxten auf sein Bein einzuschlagen – das hätte ich nicht geschafft. Mein Jeremiah hat gelitten wie ein Tier. Er war ein Kerl so stark wie ein Bär, sein Herz hat einfach nicht aufgehört zu schlagen. Am Schluss hat er nur noch gewimmert und nach seiner Mama gerufen.
Es hat noch drei Tage gebraucht, bis er in meinen Armen aufgehört hat zu atmen. Das war kurz vor Sonnenaufgang. Ich hab ihn nicht losgelassen, bis es wieder dunkel und wieder hell wurde. Saß einfach da, hab ihn festgehalten und nicht geschafft, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Geweint habe ich nicht – mein Kopf war selbst dafür zu leer.
Am frühen Morgen hab ich ihn dann endlich hingelegt. Ich bin in die erste Dämmerung rausgegangen, habe mich am Strand ausgezogen und bin in das Wasser gegangen. Mich von oben bis unten gewaschen, so nackt, wie Gott mich schuf. So lange, bis ich meine Haut nicht mehr spüren konnte vor lauter Kälte und ich den Geruch von Jeremiahs Bein nicht mehr in der Nase hatte. Erst dann bin ich wieder an den Strand zurück – und stand vor Oaoiti. Der war damals noch nicht der Häuptling dieses Stammes, das war sein Vater. Ich hatte davon keine Ahnung. Wie ich schon gesagt habe: Wir wussten, dass sie uns beobachteten und hin und wieder freundlich zu uns waren. Aber wir haben sie nicht beachtet. Wir waren uns so sicher, dass wir diesen Wilden überlegen waren. Dass wir viel besser wussten, wie man sein Leben meistern kann. Wie lächerlich. Mit dem, was ich heute von den Maori gelernt habe, könnte ich meinen Jeremiah retten. Gar nicht schwierig, ein Absud von Manukablättern würde wahrscheinlich reichen. Aber ich Idiotin habe einfach nur Meerwasser über meinen Mann gekippt und gehofft, dass er schon irgendwie von selbst wieder auf sein faulendes Bein kommt. Dumm. So dumm.
Da stand ich auf jeden Fall vor Oaoiti. Nackt und nass. Und er hat einfach seine Hand ausgestreckt, mir über die Wange gestreichelt und hat mich dann an sich herangezogen und seine Nase an der meinen gerieben. An jedem anderen Tag wäre ich zurückgezuckt, hätte geschrien, dass ein Wilder es wagt, meine Haut zu berühren. An diesem Morgen sah ich uns zu, als ob ich gar nicht in meinem Körper wäre. Kennst du das? Es passiert etwas, und du gehst aus deinem Körper heraus und hast keinen Einfluss mehr auf das, was da geschieht. So war es auf jeden Fall an diesem Morgen. Ist ja auch sonst nichts passiert. Also nichts, was zwischen Mann und Frau unschicklich wäre.
Er hat mir nur zugenickt und ist gegangen.
Später habe ich dann mit einer der Äxte versucht, ein Grab zu schaufeln. Der Boden ist an manchen Stellen sehr weich, ich hatte also am Ende des Tages eine flache Grube fertig. Aber ich wollte nicht, dass Jeremiah von einem wilden Tier oder von einem hungrigen Krebs aufgefressen wird. Also habe ich so lange weitergemacht, bis sein Grab tief genug war. Und dann habe ich mich einfach danebengelegt und bin eingeschlafen. Die Nächte, die ich bei ihm gesessen habe, und die Trauer … ich bin einfach umgekippt.
Am nächsten Morgen lag etwas zu essen neben mir. Oaoiti hat mir ein paar Früchte und ein wenig gekochte Kumara gebracht
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