Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
Vom Netzwerk:
unbedingt ein Arzt oder eine Schwester ansehen.«
    »Sind graue Flecken im Mund?«
    »Ja … Soweit ich das sehen konnte, ja. Warum?«
    McGarrett war ernst geworden. »Weil ein Missionar von zwei Diphtheriefällen in einem der nördlichen Dörfer am Yukon berichtet hat.« Er blickte die Indianerin an. »Es wäre gut möglich, dass die Krankheit auf Umwegen nach Süden kommen konnte. So wie vor einem oder zwei Jahren in Nome.«
    Hannah erblasste. »Um Himmels willen!«, flüsterte sie.
    Sie stellte den Becher auf den Ofen und lief zur Tür. »Ich muss sofort weiter! Ich muss dringend dem Arzt Bescheid sagen! Ich …«
    Der Fallensteller hielt sie an den Schultern fest und zog sie zurück. »In dem Sturm können Sie nicht weiterfahren, Miss! Sie würden nicht mal bis zum Waldrand kommen! Warten Sie, bis der Blizzard nachgelassen hat!«
    »Ich muss mich beeilen! Wenn Dorothy keine Hilfe bekommt, muss sie sterben! Ich hätte sie auf dem Schlitten mitnehmen und direkt ins Krankenhaus bringen sollen. So verliere ich nur wertvolle Zeit!« Sie befreite sich aus seinem Griff. »Ich kann nicht länger warten, Amos! Lassen Sie mich los!«
    »Hannah!«, rief er so dröhnend, dass sie zusammenzuckte.
    »Sie haben recht«, flüsterte sie, »ich käme nicht weit.« Sie nahm den Becher, den die Indianerin aufgefüllt hatte und ihr wortlos reichte. »Was meinen Sie … Wie lange dauert der Sturm?«
    »Keine Ahnung. Eine Stunde? Zwei? Drei? Die ganze Nacht?«
    »Und Dorothy stirbt inzwischen.«
    »Indianer sind zäh, die sterben nicht so schnell.« Er zog an seiner Pfeife. »Außerdem ist gar nicht sicher, dass sie Diphtherie hat. Wenn man an jeder Krankheit gleich sterben würde, gäbe es schon lange keine Indianer mehr.«
    Hannah ließ sich auf wieder auf ihren Stuhl sinken. Mit dem Becher in beiden Händen starrte sie vor sich auf den Tisch. Sie merkte gar nicht, wie Lizzy ein Stück von einem Elchschinken schnitt und es vor ihr auf den Tisch legte. Eine Stunde verging, ohne dass der Sturm nachließ, fast schien es Hannah, als hätte das Heulen noch zugenommen und würde niemals wieder aufhören. Wie versteinert saß sie auf ihrem Stuhl, den Becher mit dem inzwischen lauwarmen Tee in den Händen, das Stück Elchschinken unberührt auf dem Tisch. McGarrett und die Indianerin lagen auf der Matratze und schnarchten beide.
    Nach ungefähr zwei Stunden, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, ließ der Sturm so plötzlich nach, wie er aufgekommen war. Sie stand auf und zog sich an und kehrte nach draußen in die Kälte zurück. »Genug gefaulenzt!«, rief sie den Hunden zu. »Der Sturm ist vorbei. Es geht weiter!«

37
    Als die Lichter von Fairbanks in der Ferne auftauchten, feuerte Hannah noch einmal die Hunde an: »Vorwärts, Kobuk! Wir haben es fast geschafft! Nur keine Müdigkeit vortäuschen! Höchstens noch eine Meile, dann sind wir da!«
    Aus der Ferne wirkte Fairbanks mit seinen vielen Lichtern ungewöhnlich lebendig, doch als Hannah ihren Schlitten durch die Stadt zur Northern Lights Clinic steuerte, war niemand auf den verschneiten Straßen zu sehen, und die meisten der wenigen Automobile vor den Häusern waren mit Planen bedeckt. Hinter den Fenstern brannten elektrisches Licht und flackernde Öllampen, bewegten sich die Schatten der Bewohner, die während der kalten Jahreszeit nur auf die Straße gingen, wenn sie unbedingt mussten. In den Straßen klang das Scharren der Schlittenkufen unnatürlich laut.
    Als sie an Weeks Field vorbeikam, dem ehemaligen Baseballplatz, der inzwischen als Landeplatz für Flugzeuge diente, sah sie einige mit Planen bedeckte und mit Kabeln gesicherte Maschinen im Schutz der Baracken stehen. Im schummrigen Licht einer einzigen Lampe war nicht zu erkennen, ob eine rote Jenny darunter war. Für einen Augenblick erschien Frank in ihren Gedanken und verwirrte sie mit seinem verliebten Lächeln so sehr, dass sie beinahe die Nebenstraße verpasst hätte, in der die Northern Lights Clinic lag.
    Sie lenkte die Hunde nach rechts und hielt vor dem zweistöckigen Gebäude, das sich von den anderen Häusern in der Wohngegend kaum abhob. »Macht mir keinen Kummer!«, rief sie den Hunden zu. »Ich bin gleich wieder zurück, dann gibt’s was zu fressen und zu saufen. Ich verlass mich auf euch!«
    Hinter den Fenstern im Erdgeschoss brannte Licht, und sie glaubte sogar, Stimmen zu hören. Nachdem sie geklopft hatte, näherten sich Schritte, und Schwester Becky öffnete die Tür. Sie brauchte ein paar Sekunden, um

Weitere Kostenlose Bücher