Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
Vom Netzwerk:
Absatz legte sie das Magazin beiseite und blickte zum Fenster hinaus, wunderte sich darüber, dass sie es nicht schaffte, den unhöflichen jungen Mann, der sie auf so schmähliche Weise hereingelegt hatte, aus ihren Gedanken zu verdrängen. Was war bloß in sie gefahren? Sie ließ sich doch sonst nicht so leicht beeindrucken, schon gar nicht von solchen Aufschneidern.
    Der Zug erreichte das Union Depot in Seattle mit nur wenigen Minuten Verspätung. Der Schaffner reichte ihr den Koffer, nachdem sie den Wagen verlassen hatte, und entschuldigte sich noch einmal, dass man sie nach dem Austausch der Lok vergessen hatte. Sie winkte ab und bedankte sich für seine Dienste mit einem kleinen Trinkgeld, wie sie es bei den anderen Passagieren gesehen hatte. Auf dem Bahnsteig blieb sie eine Weile stehen, als wartete sie darauf, von einem Verwandten oder Freund abgeholt zu werden, und trat auf die belebte Jackson Street hinaus. Wie die Bahnhöfe in New York und Chicago lag auch der von Seattle mitten in der Stadt. Sie fragte nach den Docks, von denen die Schiffe nach Alaska ablegten, und ging die paar Blocks zu Fuß, vorbei an einem großen Totempfahl, der sich mitten auf einer Kreuzung erhob. Die Händler auf dem angrenzenden Fischmarkt priesen lautstark ihre Ware an, vor allem Lachse und Kingcrabs, riesige Krabben, wie sie Hannah bisher noch nie gesehen hatte, und ließen sie von einem Krabbensalat kosten, der so köstlich schmeckte, dass sie einige Cent für einen Becher opferte. Frisch gestärkt ging sie zum Hafen, der gleich nebenan lag.
    Der Angestellte am Eingang zum Dock betrachtete ihr Ticket, nickte zufrieden und sagte: »Alles in Ordnung, Miss, das ist noch gültig, aber der Dampfer nach Alaska hat vor zwei Stunden abgelegt, und der nächste geht erst übermorgen früh.« Er reichte ihr das Ticket zurück. »Kein Grund, sich zu grämen, Miss. Sehen Sie das Hotel direkt gegenüber? Dort übernachten unsere Skipper und Stewards am liebsten. Die Zimmer sind sauber, das Essen schmeckt besser als in vielen Restaurants, und die Preise halten sich im Rahmen. Für Passagiere unserer Gesellschaft gibt es einen Sonderrabatt.«
    Hannah bedankte sich und kehrte enttäuscht auf den Gehsteig zurück. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Zwei Übernachtungen, die sie mindestens zwei Dollar kosten würden, wenn nicht mehr, und sie unnötig in einer fremden Stadt festhielten – obwohl sie zugeben musste, dass Seattle einen wesentlich freundlicheren Eindruck als New York machte und sicher einiges zu bieten hatte.
    »Hannah!«, riss eine vertraute Stimme sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um, und da stand er breit grinsend. Statt des Overalls trug er eine braune Baumwollhose und eine Lederjacke und statt der Fliegerkappe eine Schiebermütze, wie sie die Zeitungsjungen in New York trugen. Seine braunen Augen leuchteten. »Ahnte ich doch, dass ich Sie wiedersehen würde.«
    »Frank Calloway!« Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. »Sie sind mir nachgeflogen! Glauben Sie vielleicht, ich hätte nicht gesehen, wie Sie mit Ihren Kunststücken angegeben haben? Wenn Sie denken, dass mich so etwas beeindruckt, haben Sie sich gewaltig getäuscht. Was wollen Sie?«
    Das Grinsen des Piloten war wie weggewischt, er nahm sogar die Mütze ab, um ihr zu zeigen, dass er sich zu benehmen wusste. »Ich wollte Sie zum Picknick einladen. Ich habe mich erkundigt, der Dampfer nach Alaska fährt erst übermorgen, und wir hätten morgen den ganzen Tag. Ich besorge frischen Lachs auf dem Fischmarkt, den könnten wir über einem Lagerfeuer grillen. Na, wie wär’s?«
    »Und deshalb sind Sie mir nachgeflogen?«, fragte sie erstaunt.
    »Nun ja«, druckste er ein wenig herum, »in ein paar Tagen eröffnet ein großer Flying Circus in Tacoma. Da gibt es Geldpreise für die besten Kunststücke. Aber …«
    »Sie sind also nicht meinetwegen hier.« Sie verstand selbst nicht, warum sie ihn so abkanzelte. »Sie wollen bei diesem … Flying Circus ordentlich Geld machen und dachten sich, so ganz nebenbei noch eine Frau verführen zu können. So haben wir nicht gewettet, Frank Calloway!«
    Der Pilot hob abwehrend die Hände. »Hey, hey, wer spricht denn von verführen? Ich wollte Sie lediglich zu einem Picknick einladen, … ohne Hintergedanken. Mag ja sein, dass wir Barnstormers einen schlechten Ruf haben, weil einige von uns das Leben ein wenig locker angehen, aber ich meine es ehrlich. Ich dachte mir, wir fliegen zum Mount Rainier hoch, das ist

Weitere Kostenlose Bücher