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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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dunkle Wolken zu sehen. Der stetige Wind trug sie den Bergen entgegen und blies Hannah immer kälter werdende Luft ins Gesicht. Sie hielt sich gut fest und blickte staunend nach vorn. Wie ein mächtiger weißer Kegel ragte der Vulkan aus den Cascade Mountains empor. Sein Gipfel war mit Gletschereis überzogen. In seinen Ausläufern drängten sich dichte Fichtenwälder bis an den Berg heran und hoben sich dunkel von den nackten Felswänden und Geröllhängen ab. Sie sah einen Wasserfall und einige Seen, die sich im hellen Sonnenlicht spiegelten, weiter östlich wand sich ein Fluss durch das zerklüftete Land. Ein Weißkopfadler, das Wappentier der Vereinigten Staaten, wie sie schon bei der Einwanderung gelernt hatte, ließ sich vom Wind über die Bäume tragen und schien dem Piloten einmal zeigen zu wollen, wie man sich elegant in der Luft bewegt.
    Hannah war ergriffen von dem Anblick. Das Bild, das sich ihren Augen bot, hatte etwas Urwüchsiges und Erhabenes, und der Gedanke, dass die Natur in Alaska noch größer und gewaltiger sein sollte, trieb ihr Tränen in die Augen. Nicht die Wolkenkratzer von New York und Chicag o, keine Brooklyn Bridge und keine Freiheitsstatue, nich t einmal die monumentalen Schlösser und Kathedralen in Europa kamen gegen die Urgewalt dieser Natur an. Ein mächtiger Vulkan wie der Mount Rainier war ein Kunst werk, das jedes Gemälde und jede Fotografie in den Schatten stellte, ein Beleg für das einmalige Wunder der Schöpfung, wie es einem auf dieser zivilisierten Welt nur noch an entlegenen Orten geboten wurde. Kein Wunder, dass man versuchte, diese Natur in Nationalparks zu schützen.
    Frank legte die Maschine in eine leichte Linkskurve und rief plötzlich ihren Namen. Sie drehte sich um und sah ihn nach unten deuten. »Sehen Sie die dunklen Punkte am Fluss?«, rief er über das dröhnende Motorengeräusch hinweg. »Das sind Bären oder Elche! Ich zeige sie Ihnen.«
    Er schob den Steuerknüppel nach vorn und lenkte die Maschine ins Tal hinab, zog sie dicht über den Bäumen in die Waagrechte und folgte dem Lauf des Flusses nach Osten. Die dunklen Punkte kamen schnell näher und entpuppten sich als zwei Schwarzbären, die Lachse aus dem Wasser fischten. Sie blickten erschrocken nach oben und rannten davon, als sie die Maschine entdeckten. Frank wendete die Jenny in respektvoller Entfernung vor den felsigen Hängen des Mount Rainier und flog zurück, raste noch einmal über die Bären hinweg und zog die Maschine wieder nach oben. Hannah hatte noch nie Bären gesehen, kannte sie nur von Fotografien oder den Titelbildern vereinzelter Ranch Romances , die im hohen Norden spielten, und war tief beeindruckt.
    Im hellen Licht der Mittagssonne steuerte Frank ihr Ziel an. Auf Hannahs fragenden Blick deutete er in ein schmales Tal, das sich parallel zu dem Fluss, in dem die Bären gefischt hatten, nach Westen ausbreitete. »Halten Sie sich gut fest!«, rief er ihr zu. Er lenkte die Maschine nach unten, flog ein Stück den Fluss entlang, landete sie sicher auf dem holprigen Boden. Er rollte gegen den Wind aus und kletterte aus dem Cockpit. »Na, hab ich zu viel versprochen? Das Tal hab ich mir gestern aus der Luft angesehen und dachte mir, das wäre ein schönes Plätzchen für uns.«
    »Einmalig«, stimmte sie ihm zu. Sie ließ sich aus dem Cockpit helfen und blickte ehrfürchtig zu dem vereisten Gipfel empor. »So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.« Sie nahm die Lederkappe und die Schutzbrille ab und legte sie auf ihren Sitz. »Und diese frische Luft …« Sie ging ein paar Schritte und blieb am Flussufer stehen, blickte nervös in beide Richtungen. »Und Sie haben keine Angst, dass uns die Bären zu nahe kommen?«
    »Dafür habe ich das hier!« Er zog einen Revolver aus seiner Jackentasche und zeigte ihn ihr. »Ich glaube nicht, dass man damit einen Bären umlegen kann, aber meistens reicht es schon, wenn man in die Luft schießt. Die Biester sind ängstlicher, als man denkt.« Er steckte die Waffe weg und deutete auf den nahen Waldrand. »Holen Sie uns ein wenig Brennholz? Möglichst trocken, dann brennt es besser. Für den Lachs brauchen wir ein schönes Feuer.«
    Sie holte Äste und trockenes Reisig und sah ihm beim Feuermachen zu. Es funktionierte auf die gleiche Weise wie bei dem eisernen Ofen in ihrem Zimmer in New York: Mit etwas Reisig oder Papier brachte man die Flammen in Gang und gab erst allmählich größere Zweige und Äste hinzu, bis das Feuer brannte und groß genug war.

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