Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
Vom Netzwerk:
ersten, dem Kind entwickeln musste zum Jugendlichen und schließlich zum Erwachsenen.
    Und dann der Großvater, mein Mann, der absolute Glücksgriff: Martin Benrath. Leider starb er im Jahr 2000, 74 Jahre alt. Er war einer der letzten Gentlemen, ein zauberhafter, großartiger Schauspieler der alten Schule, der uns Frauen mit Handkuss begrüßte, ein toller Kollege, weise und aufmerksam, jeden nahm er unvoreingenommen als Partner wahr. Etliche von uns kamen aus dem Osten, er war neugierig auf unsere Arbeit, auf unser gelebtes Leben, auf die Literatur der DDR .
    Im Laden passten wir zusammen wie zwei alte Latschen. Als er sich die Rolle des Großvaters eroberte, kamen ihm die Erzählungen von Erwin Strittmatters Bruder Heini zugute, der damals noch in Bohsdorf lebte. Wunderbares wusste der über den wirklichen Großvater zu erzählen. Durch Heini Strittmatter begriffen wir besser die Mentalität der Lausitzer, die Härte, mit der sie das Leben nahmen, ihr fast verstocktes Wesen, und diesen Sound. Niemand von uns konnte diesen Lausitzer Dialekt genau sprechen, den Strittmatter in seinem Buch bildhaft, teilweise verschroben umgesetzt hat. Auch kommen darin etliche uns unbekannte Worte vor. Jo Baier setzte bei uns auf Verschleifen und Vernuscheln. Wichtig war ihm, den Klang zu erhalten. Dass er Otto Sander als Erzähler aus dem Off auftreten ließ, half sehr, die Töne möglichst nah am Originalbuch zu halten.
    Ich las Strittmatters Beschreibungen und Erzählungen über seine Großmutter, diese kleine Frau. Ich kroch förmlich in meine Magdalena Kulka hinein, übte eine Art Lausitzer Mundart und lebte für Monate in ihrer Zeit. Verglich sie mit meiner Großmutter, mit deren Gang und deren Angewohnheiten. Die olle Kulka war eine rührende Einfalt, naiv, gutgläubig und dabei witzig. Sie war unendlich geduldig und gütig zu ihren Enkeln, schlitzohrig gegenüber ihrem Mann, und ihr Aberglaube schützte sie wohl vor manch bitterer Wahrheit. Essen kochen für die ganze Familie hielt sie für ihren größten Liebesbeweis. Eine einfache, liebevolle Oma, die wollte ich mit meinem Wesen bestücken.
    Die Requisiten – Waschschüsseln, Eimer, Zuber, Pumpen, Öllampen, der Kaufmannsladen aus jener Zeit – all das bezauberte mich. Dazu verwandelten mich die derben, langen Röcke, die Tücher, Pantinen, Hütchen – ich lebte in einem anderen Jahrhundert und auf dem Lande.
    Das Drehbuch von Ulrich Plenzdorf und Jo Baier entsprach kongenial der literarischen Vorlage; ich war glücklich über diese Rolle. Ein Stück Leben inmitten einer großen Familie über etwa zwanzig Jahre erzählt, das ist eine reizvolle Aufgabe, die mir allerdings einiges abverlangte. Einen derart langen Prozess zu spielen kannte ich bis dahin nur vom Theater. Auf der Bühne markiert eine Pause den Zeitsprung, danach trägt man eine andere Perücke, eine andere Maske und zeigt so ein anderes Alter. In dem Fernsehfilm Wege übers Land bin ich auch gealtert, aber die Geschichte war kleiner und meine Rolle darin mehr episodenhaft. Im Laden hingegen entwickelte sich die Maske mit der Rolle, ich musste den Prozess des Altwerdens allmählich umsetzen in Gestus, Sprache, Gang. Einerseits fand ich das aufregend, andererseits aber auch erschreckend, sah ich im Spiegel mein Gesicht als 86-Jährige!
    Im ersten Teil war ich um die sechzig Jahre alt, da dauerte die Maske noch nicht allzu lange. Als der dritte Teil gedreht wurde, ich war über achtzig, saß ich mehr als zwei Stunden in der Maske. Zuerst wurde meine Haut im ganzen Gesicht in Falten geschoben und mit einer Art Latex zusammengeklebt. Das wurde trocken gefönt, darüber kam die Schminke. Dann wurde die Perücke mit meinem Haaransatz verklebt, und die Verwandlung war perfekt. Ich ahnte beim Blick in den Spiegel, wie ich mit achtzig aussehen werde.
    Das Abschminken ist eine ziemliche Tortur, denn die Haut ist gereizt und gerötet. Da muss getupft und gecremt und gesalbt werden, aber auch das gehört zum Beruf.
    Einmal drehte ich drei Tage hintereinander mit dieser Maske, und beim Abschminken blieben die Falten wie plissiert. Ich geriet in leise Panik, denn ich war erst fünfzig, und wer will da schon aussehen wie hundert! Aber nach einiger Zeit hat sich die Haut wieder entfaltet.
    In diesem dritten Teil bringt mir ein Enkel aus Amerika einen Kaugummi mit. Ich wickle ihn aus und lese »schewing gumm«. Ich kaue und kaue und kaue, und das Ding wird nicht alle, und ich wundere mich maßlos.
    Nachdem der Film gelaufen

Weitere Kostenlose Bücher