Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
jedoch kaum einen in seinen Dschungel ließ. Ich liebte und akzeptierte diese Distanz, denn wenn ich anklopfte, durfte ich hinein.
Der geschichtliche Stoß, der dieses jetzt gemeinsame Land erschütterte, brachte auch für uns eine erste Krise. Für Dich bedeutete er zunächst den Verlust einer großen Wertschätzung, Deiner Autorität und Deiner Arbeit, dazu Existenzangst und Sorge um Deine Familie. Doch unser Mut reichte aus, den Neubeginn zu meistern.
Wieder Schulbank, ein anderer Job, wieder Anerkennung Deines Fleißes, Deiner Disziplin und Deiner Wärme. Wachsendes Vertrauen und Wohlfühlen in der Arbeitswelt, Du lebtest auf in einer neuen Verantwortung. Öffentlichkeitsarbeit – immer ein Zauberwort für Dich, denn man sah Dich gern öffentlich, wie Du auf Menschen zugingst, gewandt, charmant, souverän. Dabei haben wir sicherlich nicht genug auf Deine Kondition geschaut, oder Du schontest uns und verbargst Deine Erschöpfung. Ich dachte, Du seist der Gesündeste, der Stärkste, der Baum im Wind, unser Halt. Nein, Du warst der Sensibelste, der Verletzlichste, der Verzweifeltste. Aber auch der Schönste, der wundervollste Liebhaber und der hinreißendste Papa der Welt.
Sollte ich über unsere Liebe etwas sagen, halte ich mich an den Paulusbrief: Sie hört nimmer auf. Und man muss jeden Tag neu mit einem Mut beginnen, das wiederum ist von Rosa Luxemburg.
Lass mich nun vom Schönsten in unserem Leben sprechen, von unseren Kindern, die jeder einen süßen Teil von Dir, von uns und unserer Liebe in sich tragen wie eine kleine Fackel. Sie waren unser Meilenstein, unsere liebkosten Kleinodien, die uns nur Trost und Freude brachten vom ersten Schrei an.
Da ist Dein Sohn Jacob, der so langsam auf die Welt wollte, dass ich fast verzweifelte. Er ist ein Träumer, Analytiker, Beobachter geblieben, er kann auf eine Pflanze so lange schauen, bis sie wächst, er entwickelt eine Konstruktion, und anschließend zeigt ein Foto das Ergebnis. Du ermahntest mich zur Geduld, ihm diese Ruhe zu lassen, denn daraus erwächst seine Kraft. Er brauchte nicht viele Worte, um glücklich zu sein, er war es immer, er durfte weinen, als Kleiner mit Puppen spielen, Technik stundenlang ausprobieren, die Welt beobachten. Deine Gutenachtgeschichten haben ihn bewahrt vor Kindergartenängsten, Dein Kuscheln vor groben Freunden.
Und da ist Jennipher, die eine klitzekleine, schreiende Person war, versehen mit dem Feuer der Mama und den sanften braunen Augen von Dir. Bis heute verliebt in alle Aktionen dieser Welt, geschmückt mit Deiner Sprachvernarrtheit, Wort, Film und Bühne verfallen, doch auch so zaghaft und schüchtern wie Du, mit Deiner Nachdenklichkeit ausgerüstet und mit so wertvollen Gedanken. Ich sehe sie an Deine Schulter geschmiegt, auf Deine Worte lauschend, Eure Gemeinsamkeit: die Bücher.
Ich danke Dir, Malte, dass sie sich heute zurechtfinden, weil unsere Liebe und Sorgfalt sie stark gemacht haben. Viele Fragen werden nun unbeantwortet bleiben, jeder von uns muss den Weg nun ohne Dich gehen. Auch Deine Mama, unsere einzige Oma, der wir Dich verdanken, und die schon einmal ein Kind verloren hat und nun ihren jüngsten Sohn. Ich erinnere mich an Omas neunzigsten Geburtstag, an dem wir lachend mit Deinem Bruder und dessen Familie überlegten, wie wir an Omas Hundertsten wohl aussehen werden. Wir konnten nicht ahnen, dass Du uns überholen wirst. Jetzt bist Du uns mit allem voraus.
Die Sonntage bei Deiner Mutter im Wald werden einsam sein, der Wald unserer Kindheit ist in Trauer. Der Garten wird von Erinnerungen bepflanzt werden, und durch alles bläst, wie wir wissen, der Wind. Es wird kaum einen Ort geben, der nichts mit Dir zu tun hat, und das ist schmerzlich.
Deine alten und neuen Freunde werden Deinen Biss vermissen, die Jungen Deinen immer so guten Rat, die Kollegen Deine unendliche Geduld, Deine Aufmerksamkeit und Deine Freundlichkeit, Deine Vorgesetzten Deine Korrektheit und Sanftmut. Verzeih, wenn wir Dich manchmal verkannt haben, aber Du brauchtest unser Temperament, unseren Widerspruch und unser Feuer.
Die Erinnerung an Dich ist schmerzlich und tief. Mit Deiner Klugheit im Herzen werden wir uns auf die Neuigkeiten dieser Welt stürzen, weil es Dir gefallen hätte. Wir werden Deine Mama versorgen wie jeden Sonntag. Jacob wird Blumen und Bäume pflanzen, Jenny wird die Bücherregale stürmen, den Waldspaziergang werden wir zu einem Treffen mit Dir werden lassen, wir werden ein starkes Trio bleiben und uns Deine
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