Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
war, kaufte ich mal in einem Supermarkt ein, tat alles auf das Laufband, und plötzlich lag am Ende meines Einkaufs eine Packung Kaugummi. Ich sagte: »Das gehört mir nicht«, doch eine Frau, die hinter mir stand, sagte lachend: »Doch, das ist Ihr schewing gumm aus dem Laden !«
Viele Menschen sprachen mich damals auf der Straße an: Da kommt ja unsere Anderthalb-Meter-Großmutter!
Durch diese kleine Großmutter habe ich Eva Strittmatter kennengelernt, ich war bei ihr auf dem Schulzenhof und an all den Orten, die sie bedichtet hat. Ich bin zum Ehrenmitglied des Strittmatter-Vereins benannt worden, habe in dem winzigen Original-Laden in Bohsdorf eine sehr schöne Lesung gehabt und ein Gespräch über den Film.
Denke ich an die Dreharbeiten, gerate ich immer wieder ins Schwärmen.
Morgens um acht Uhr ging ich vom Maskenwagen zum Drehort. Lothar Holler hatte das Niederlausitzer Bohsdorf in der Nähe von Bad Wilsnack nachgebaut – mit Laden, Wohnung, Scheune, Garten, Taubenhaus und Kirche. Unterwegs im Frühnebel, zwischen Pferden und Wagen und Hühnern, grüßten mich die Einheimischen, am Drehort wurde gewuselt, vorbereitet, eingerichtet. Autos durften nicht fahren, damit es im Sandboden keine Spuren gab. Ich tauchte ein in die scheinbare Romantik des vorigen Jahrhunderts.
Alles hatte hohe Qualität, das liebevoll ausgestattete Szenenbild von Lothar Holler, die wunderbare Arbeit von Gernot Roll, dem Kameramann, und der leise, behutsame und so gründliche Jo Baier.
Seine Vorbereitung auf jeden Drehtag erinnerte an eine Morgenmesse. Unaufgeregt stimmte er uns ein, erläuterte Situationen, Orte, Stimmung, Licht. Die Arrangements der Schauspieler hatte er sorgfältig in seinem Drehbuch aufgemalt. Zunächst machte er allein mit uns eine Stellprobe, dann kam Gernot Roll dazu. Requisiten, Probe, letzte Fragen – und drehen. Diese morgendliche Disziplin und diesen Ernst kenne ich vom Theater, und ich liebe es. Auch bei Michael Haneke habe ich diese Sensibilität gespürt.
Aber es gab auch viel zu lachen. Wenn meine Tochter Dagmar Manzel ihre Ohnmachten kriegte und einfach umfiel. Wenn Jörg Schüttauf reden musste, während er heiße Brote aus dem Ofen ziehen sollte, die alle auf dem Boden landeten. Wenn ein Kind, das im Hintergrund der Küche im Badezuber hockte, plötzlich beim Drehen sagte: »Oh, jetzt hab ich in die Wanne gepinkelt!«
Spaß gab es jeden Tag. Und wenn man drei, vier Monate miteinander arbeitet, dann ist das wie ein neues Zuhause.
Das Jahr 1998 begann hoffnungsvoll für mich. Hin und wieder fuhr ich nach Berlin zu Proben von Heiner Müllers Bauern , außerdem inszenierte ich einen Brecht-Abend mit Kindern. Die Arbeit am Laden war fast beendet, freudig und doch voll Wehmut sahen wir dem großen Abschlussfest entgegen, mit dem alle Filmteams das Ende der Zusammenarbeit feiern. Das Leben schien wieder wunderbar, denn auch am Theaterhorizont schimmerte Licht.
Der für mich vorletzte Drehtag war eisig kalt. Wir drehten den Tod des Großvaters, meines Film-Mannes, und dessen Beerdigung. Da blieb für mich die Zeit stehen. An diesem Tag starb Malte, mein Mann, schnell und ohne Ankündigung.
Ich weiß nicht, wie ich den letzten Dreh überstanden habe und die Vorstellungen am BE . Jo Baier half mir mitfühlend und sensibel in diesen Stunden, meine Kinder waren bei mir, und wir beschlossen, dass ich mich am letzten Drehtag vom Team verabschiede, das große Abschlussfest fand ohne mich statt. Meine Kinder managten alles großartig.
Das traurigste Jahr unseres Lebens begann.
Den Film sah ich erst zur Premiere im Berliner Kino International. Ich war unglaublich traurig, dass mein Mann nicht neben mir sitzen konnte. Er wäre so stolz gewesen.
Mein letzter Liebesbrief an Malte
I wish, I wish, I wish in vain,
That we could sit in that room again,
Ten thousand dollars, at the drop of a hat,
I’d give it all gladly, if our lives could be like that ...
Bob Dylan
Weißt Du noch ...
... Frühstücksbrote austauschen auf dem Schulweg, nachmittags ins Kino gehen, Deine Sammlung von Filmprogrammen; in der Oberschulzeit Küsse und Verliebtsein am Klavier, Du spieltest Für Elise , mehr für mich, dann Trennung durch unser Studium, Du Anglistik, ich Schauspiel, und auch durch unsere verschiedenen Elternhäuser: Deines »fortschrittlich und gebildet«, meines ein »Künstlerhaushalt«. Du hier, ich da. Immer wieder Liebesbriefe. Du schriebst von Deinen Wünschen und Deiner Sicht auf die Welt, von der
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