Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
die Weigel in Hollywood und hatte vier oder sechs Sätze zu sagen, in denen »Weißwürschteln« und »Sauerkraut« vorkamen.
Bei einer der ersten Proben bat Tabori charmant und leicht vernuschelt: »Setzen Sie sich bitte in einen Kreis, ich möchte Sie sehen.« Wir saßen mit Überspannung auf unseren Stühlen, es geschah nichts, er schaute sehr lange von einem zum anderen, die Spannung wuchs ins Unerträgliche, dann sprach er: »Ich sehe, Gott sei Dank, viel Gutes.«
Seine Augen blickten so listig, so scharf, so hell, so spöttisch, so gütig, so stechend – obwohl er schon schlecht sah. Bei unserer Arbeit habe ich nur auf seinen Blick geachtet, der war das Maß der Dinge.
Auf einer Probe sagte er: »So, meine Lieben, mit dem Faxenmachen und Improvisieren hört’s jetzt auf. Von nun an halten wir uns, bittschön, an den Text.«
Im Juni seines letzten Lebensjahres, es war das Ende der Spielzeit 2006/2007, saß er im Hof auf einem Lehnstuhl, dem »George-Stuhl«, rot gepolstert, majestätisch. Stock, Mantel, Schal wie damals, die Hände lagen ruhig auf der Lehne. Er schaute prüfend um sich, erblickte mich, sagte: »Komm her.« Ich nahm seine große Hand und hielt sie, er lächelte mich an und wir nahmen Abschied. Er ging so, wie er gekommen war, das gleiche Bild.
Aber zurück zu Claus Peymann. Nach unserem ersten ausführlichen Gespräch stellte ich mit Erstaunen fest, wie viel ich von diesem Mann und seiner Arbeit wusste und wie wenig er von mir.
Er sagte, er kenne nur eine Frau aus dem alten Ensemble, die gefiele ihm sehr gut, sähe der Giehse ähnlich, sie spielte die Mutter vom Baal , sehr, sehr interessant, und dann direkt an mich gewandt: »Ja, bei mir könnten Sie ...«
Ich unterbrach ihn: »Das war ich.«
»Nein.«
»Es gab nur eine Inszenierung von Baal mit Ekkehard Schall, und die Mutter habe ich gespielt. 1988 habe ich dafür den Kritiker-Preis der Berliner Zeitung bekommen.«
Da staunte er.
Ich bekam erst einmal etliche kleine Rollen zu spielen, im Theatermacher hatte ich zwei Sätze zu sagen. Meine Parts in Übernahmen, Richard II ., Hamlet, Unsichtbare , waren zwar größer, doch bei solchen Rollen fügt man sich in das Arrangement, passt sich in das Timing ein. Das lässt keinen Raum für eine eigene Gestaltung.
Ich fühlte mich ein wenig wie in einem Wartesaal, bis der 11. September 2001 die Welt erschütterte.
Die Idee, den Nathan zu spielen, war Peymanns Antwort auf das Desaster. Es sollte eine Tischlesung werden. Darüber war ich nicht glücklich. Aber sehr schnell stellten wir die Stühle zu Requisiten um, es wurde kreativ, und die Sprache Lessings für uns zu entdecken geriet zu einem Heidenspaß. Acht Schauspieler, meine erste große Arbeit die Rolle der Daja unter der Regie von Preußenkönig Peymann, wie Tabori ihn liebevoll tituliert hatte, das Bühnenbild von Achim Freyer – eine glänzende Konstellation für einen Erfolg, der sich dann auch einstellte. Heute, nach dreizehn Spielzeiten, spielen wir das Stück immer noch vor ausverkauftem Haus, und der Spaß ist geblieben.
Übrigens hörte Christoph Hein einmal, als er nach einer Vorstellung im Gewühl aus dem Theater drängte, hinter sich eine Dame sagen: »Das Beste, was Peymann aus Wien mitgebracht hat, ist die Antoni!«
Wenn auch das Haus nun den Untertitel Theater am Schiffbauerdamm trägt – ein Spielplan ohne Brecht ist nicht vorstellbar. Für das heimische Publikum nicht, für Touristen und Weltenbummler nicht und für Brecht-Fans schon gar nicht. Das erkannte auch der Meister schnell.
Die Kleinbürgerhochzeit , Brechts heiteren, bis dahin noch nie am BE gespielten Einakter, inszenierte Philipp Tiedemann, ich spielte die Mutter des Bräutigams. Da konnte ich erstmals unter Peymann mein komisches Talent zeigen. Das Stück läuft seit elf Jahren vor vollem Haus.
Dann war ich die Frau Luckerniddle in der Heiligen Johanna der Schlachthöfe und die Anna Kopecka in Schweyk im Zweiten Weltkrieg.
Eigentlich ist Peymann der ideale Theaterchef. Wenn er spricht, herrscht Ruhe, er hasst Störungen. Er behält die Übersicht, ist ein brillanter Analytiker, durchschaut die Geschehnisse, ist harmoniesüchtig, und da er das nicht sein darf, besteht er auf Haltung und hasst Solidarität unter den Kollegen. Solidarität macht allen Unternehmern Angst. Es sieht aus, als habe er Freude daran, jeden Widerstand zu zerbrechen, er regiert unumwunden. In einem Gespräch mit André Müller, einem westdeutschen Journalisten und
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