Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
hervorragendem Interviewer, sagte er einmal: »Ich will nicht denken, ich bin gebildet.« Peymann ist tatsächlich mit einer enormen Intelligenz gesegnet, und seine Bildung gibt ihm Haltung. In brisanten politischen Zeiten tat er das Richtige, gab all jenen Asyl für ihre Kunst, die in der Öffentlichkeit standen und von ihr aussortiert wurden – Jean Ziegler, Wolf Biermann, Franz Josef Degenhardt und vielen anderen.
Das BE läuft unter seiner Intendanz die zwölfte Spielzeit mit schwarzen Zahlen – das soll einer erst mal nachmachen. Er ist eben, wie Thomas Bernhard ihn beschrieben hat, ein richtiger Theaterdirektor, ein Burgtheater-Direktor. Und ich füge hinzu: ein Schiffbauerdamm-Direktor.
Durch ihn bekam meine Alterskarriere einen steilen Aufwind mit Brechts Mutter . Für diesen Windstoß, der dann die Courage zur Folge hatte, bin ich Claus Peymann sehr dankbar. Die Position des lieben Gottes ist schon vergeben, aber die des Theatergottes ist wohl für Peymann reserviert. Dafür mag folgende Anekdote sprechen:
Wir gastierten mit Richard II. in Stratford-upon-Avon, hatten vormittags Probe, alle im Kostüm. Plötzlich betrat ein Herr den Saal, verneigte sich kurz und sagte in bestem Oxford-English: »His Royal Highness The Prince of Wales wird heute, 16 Uhr, ins Theater kommen, 16.12 Uhr wird er den Saal wieder verlassen. Er wird jedem die Hand geben, bitte, fragen Sie ihn nichts, sondern warten Sie, bis Sie gefragt werden, er wird an jeden von Ihnen das Wort richten, Sie können dann antworten. Fotos bitte nur mit Erlaubnis. Die Damen brauchen nicht zu knicksen.«
Peymann sagte: »17 Uhr wäre mir lieber.«
Der Herr verbeugte sich erneut und verließ uns.
Das Berliner Ensemble stand bereits vor 16 Uhr in Kostümen auf der Bühne, natürlich waren wir alle sehr aufgeregt. Punkt 4 p.m. betrat Prinz Charles den Saal mit einer Dolmetscherin. Er gab wirklich jedem von uns die Hand, richtete an jeden eine Frage. Mich fragte er, warum ich drei Parts spielte, er wusste also bestens Bescheid.
Ich, grinsend: »Weil ich besonders gut bin.«
His Royal Highness was amused, Jokes liebt er offenbar.
Genau 16.12 Uhr entfernte sich der Prinz.
Wir zogen uns um, gingen in die Kneipe, immer noch freudig erregt und schwer beeindruckt, schließlich spricht unsereins nicht jeden Tag mit einer Königlichen Hoheit. Wir tauschten uns aus, was er wen gefragt hat, waren also euphorisiert für die Abendvorstellung.
Später erzählten uns die Garderobieren, Herr Peymann sei um 17 Uhr ins Theater gekommen und habe in einem leeren Saal gestanden.
Seitdem ist bei uns geflügeltes Wort, wenn ein nicht ganz passender Termin angesagt wird: 17 Uhr wäre mir lieber ...
Die Brecht-Frauen
Vor Jahren fand ich es seltsam, wenn jemand mich als Brecht-Schauspielerin bezeichnete. Das klang so, als könne ich nichts anderes spielen und stecke nun in einer Schublade. Es stimmt, Brecht hat mich durch mein Theaterleben begleitet, ich habe ihn lieben gelernt. Seine Rollen verfolgten mich an jedem Theater, an dem ich engagiert war, doch das habe ich genossen. Ich spielte alle seine herrlichen Frauengestalten: die Shen Te in Der gute Mensch von Sezuan , die Eva in Herr Puntila und sein Knecht Matti , die Lucy Brown in der Dreigroschenoper , Frau Cornamontis in Die Rundköpfe und die Spitzköpfe , die Mutter in Baal , die Sängerin im Galileo Galilei .
Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, diese Rollen in reine Formen zu pressen. Brecht war ein wollüstiger, lebenspraller Mensch, nie ohne Emotionen zu denken und zu spielen. Wer behauptet, Brecht müsse emotionslos gespielt werden, verwechselt das mit der Tatsache, dass seine Texte Gesetz sind. Man steht draußen, wenn man ein falsches Wort sagt. Seine Sprache leuchtet, man muss sie entdecken und sich zu eigen machen. Die Atmosphäre seiner Stücke entsteht mit der Präzision der Interpretation.
Peymann übernahm die Regie der Mutter , Brechts politischstem Stück. Das war mutig. Immerhin geht es darin um das Lob des Kommunismus, den Kampf um die Kopeke. Im Januar 2004, zum Todestag Rosa Luxemburgs, war Premiere. Peymann stand unter enormem Erfolgsdruck. Viele neue Kollegen waren engagiert worden, noch waren wir uns fremd, arbeiteten zunächst mit großer Distanz.
Ich spielte die Pelageja Wlassowa, die Mutter, meine erste große Arbeit als Peymanns Protagonistin. Und es tat mir unendlich gut, mich nach sieben mageren Jahren wieder in die Herzen – und ins Bewusstsein – der Zuschauer zu
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