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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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Freunde bewahren.
    Du wirst nicht erleben, wie Deine Jenny zum ersten Mal auf einer großen Bühne steht und ihre ersten Briefe in japanischen Kanjis schreibt, nicht, wie Dein Jacob ein Kreativhaus baut als Architekt oder eine Kamera führt, auch nicht, wie Deine Frau im Film eine alte, herrliche Großmutter darstellt und mit Applaus verwöhnt wird, um Dich stolz zu machen.
    Ich danke, dass Du so ein schöner Mann warst, dass ich Dir treu sein konnte, dass Du mich beschützt und umarmt hast in den schwersten Tagen und den schönsten Nächten.
    Ich danke Dir für diese wunderschöne Zeit.
    Du bist von uns gegangen in einem neuen Jahr, ahnungslos, mit Späßen, die wir als Trost deuteten. Dein Geburtstag sollte wieder ein Fest werden – aber Dein Herz fand, es sei genug, es wollte schlafen. Du liebtest es, sehr lange zu schlafen. Nun kannst Du uns zuschauen und ausruhen. Wir haben Dich ein letztes Mal gesehen, so friedvoll, so entspannt – also schlaf wohl, eingekuschelt von unserer Liebe und unserer kostbaren Erinnerung an Dich.
    Adieu
    Deine Maja, Dein Jacob und Deine Jenny

Alles neu macht der Peymann
    Mit dem Intendanten Claus Peymann begann 1999 eine neue Ära am Berliner Ensemble. Ich war froh, dass da einer kam und sagte: »Ich nehme das Theater. Ich will.« Neugierig auf die Arbeit mit ihm, hoffte ich auf einen guten Anfang.
    Da er sich zunächst als Bauherr zeigte, hieß das wohl, er bliebe länger. Er ließ eine neue Chefetage bauen: auf das Hauptgebäude wurde eine weitere Etage gesetzt mit zwei langen Fluren. Rechts und links gehen Räume ab für das Künstlerische Betriebsbüro, die Geschäftsführung, Öffentlichkeitsarbeit, Dramaturgie, Regieassistenten, Dramaturgen, Bibliothek. Da es Durchgangszimmer sind, kann von Intimität keine Rede sein. Am Ende des Flures Peymanns Reich hinter einem Vorzimmer. Fast alle, die dort oben arbeiten, sind Frauen, die ein Eigenleben führen. Keine Beziehung zur Basis, hätten wir früher gesagt. In der Heiligen Johanna der Schlachthöfe heißt es: »... es soll eine Trennung sein zwischen oben und unten.« Es ist eine Kluft, zumindest scheint es unten so.
    Um keine solche Kluft herzustellen, hatte einst der olle Brecht seiner Heli nur das winzige Zimmer in der ersten Etage gegeben.
    Dass eine Kantine gelegentlich einer Renovierung bedarf, steht außer Frage. Eine Theaterkantine ist Klimaspiegel der Bühne, Tratschzentrum der Schauspieler, Aufenthaltsort zwischen Proben und Vorstellungen, da werden Ideen geboren, Fantasien ausgemalt, Meinungen ausgetauscht, Intrigen gesponnen, alles mit oder ohne Alkohol. Intendanten sehen Kantinen wohl nur als Kneipe. Claus Peymann sorgte für einen neutralen Aufenthaltsraum mit getrennter Kammer für Raucher – kühl, unpersönlich, pragmatisch. Früher war es gemütlich, Kollegen von anderen Theatern kamen nach den Vorstellungen zum Gedankenaustausch. Jetzt ist alles getrennt wie der beste Müll. Wir gehen nach der Vorstellung nach Hause, nur wenn Freunde gekommen sind, bleiben wir, aber anheimelnd ist unsere Kantine nicht mehr. Damit war auch der letzte Charme des alten Theaters dahin. »Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut. Um uns selber müssen wir uns selber kümmern ...« heißt es bei Brecht.
    Den Osten wie den Westen Berlins bezeichnete Claus Peymann als Pflegefall, er käme als Heilender. Nannte sich selbst einen Arbeitsplatzerhalter, einen Unerbittlichen, einen Eroberer. In einem Interview sagte er, er führe Formel 1 und nicht Dreirad.
    Ich gehörte zwar zu den wenigen des einstigen Ensembles, die er übernommen hatte, aber ich fuhr zu dieser Zeit Tretroller.
    Er brachte einige Schauspieler mit, dazu George Tabori, den Bühnen- und Kostümbildner Carl-Ernst Herrmann, die Dramaturgen und Regisseure Hermann Beil, Jutta Ferbers – und Stücke.
    Tabori war ein Jahrhundertmann, der in hohem Alter, mit 85 Jahren, noch einmal seine Koffer packte und nach Berlin kam; der mit Charlie Chaplin, Thomas Mann und Bert Brecht in Hollywood am Tisch gesessen hatte.
    Ich sehe ihn vor mir, wie er zwischen Bauschutt, Ziegelsteinen und Gerüsten über den Hof schritt: groß, dünn, ein wenig gebeugt, den Blick auf den Boden gerichtet. Vom Gesicht sah ich nur seine große Nase. Ein Grandseigneur mit edlem Stock, langem Kaschmirschal und einem Mantel, der mich an Dostojewski denken ließ. Seine weiße Mähne wehte im Wind.
    Er hatte zur Wiedereröffnung des BE im Januar 2000 ein Stück geschrieben: Die Brechtakte . Darin spielte ich

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