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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Biermann
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der Erfolg machte Peymann und mich zu Partnern.
    Damals verglichen mich Rezensenten zum ersten Mal mit der Weigel und der Giehse. Auch Therese Giehse war in dieser Rolle umjubelt worden. Der Vergleich war mir nicht mehr unheimlich. Ich hatte das Eigene, die Antoni in der Figur gefunden.
    An meinem sechzigsten Geburtstag schenkte mir Claus Peymann nicht nur sechzig Rosen, sondern auch die Rolle der Mutter Courage . Damit ging ein Traum in Erfüllung. Wobei dieser Geburtstag ohnehin der größte in meinem ganzen Leben war. Ich leiste mir hier eine ausführliche Beschreibung dieses Abends:
    Es war der 23. August 2005, ich spielte die Mutter . In dem Bild vor der Pause sitzt Pelageja Wlassowa an einer langen Tafel, nimmt das Lob für ihre politische Arbeit entgegen. Der Fleischer mit der Kochmütze auf dem Kopf sitzt am Ende der Tafel. Applaus. Pause. Doch der Vorhang fiel nicht, sondern unter dem Beifall des Publikums kamen meine Freunde und Kollegen auf die Bühne: alle vom BE und viele von anderen Theatern, Fernsehkollegen, Regisseure, George Tabori und Iris Berben, Katrin Saß, Jaecki Schwarz, Thomas Langhoff und auch meine Kinder, die den ganzen Aufmarsch eingefädelt hatten. Alle mit einer weißen Kochmütze, sie trugen sechzig Kuchen auf die Bühne, die unser Dramaturg Hermann Beil gebacken hatte. Sie sangen ein Ständchen, in das das Publikum einfiel, und klatschten wie verrückt. Das war eine unglaubliche, einmalige Liebeserklärung, die mich mitten ins Herz traf.
    Nach der Pause spielte ich wie auf Flügeln. Anschließend feierte ich im Foyer, aß und trank mit dem Publikum, trug immer noch das Kostüm der Wlassowa – mit der Zusage für die Courage in der Tasche.
    Auch für die Courage probten wir intensiv und lange, ungefähr drei Monate. Und auch auf diesen Proben ging es nicht immer friedlich zu. Meinungen und Widersprüche prallten ein ums andere Mal aufeinander, doch mit Feigheit wird der Himmel nicht erstürmt, heißt es im Paulus-Brief, also los – ich wurde die Courage.
    Seit der Premiere im November 2005 ist viel verändert worden. Etliche Rollen wurden inzwischen neu besetzt, das hat Auswirkungen aufs Zusammenspiel. Und nach so vielen Vorstellungen, bisher weit über hundert, entdecke ich immer wieder einen Satz, den ich anders interpretieren kann.
    Wenn ich eine Rolle bekomme, gucke ich mir keine anderen Inszenierungen an, keine Videos, keine Aufzeichnungen. Ich lese das Buch unbelastet und sehe mich darin.
    Wieder wurde meine Darstellung mit denen von der Weigel und der Giehse verglichen. Auch davon musste ich mich abgrenzen. Die Vergleiche haben mich zwar geehrt, verstanden habe ich sie nicht. Jede Aufführung hat ihre Zeit.
    Therese Giehse feierte ihre Erfolge als große Brecht-Interpretin im westlichen Teil Deutschlands.
    Ich las irgendwo eine Notiz von Brecht aus dem Jahr 1955 zu Helene Weigels Darstellung der Courage: Sie tut nicht so, als ob sie selbst diese Anna Fierling ist, sondern sie zeigt, dass sie für einen begrenzten Zeitabschnitt die Courage spielt. Es war die Zeit des Wiederaufbaus, des Neuanfangs. Helene Weigel war eine außerordentliche Intendantin, eine bedeutende Persönlichkeit, sie hat ein Ensemble gegründet, das sie geführt hat wie eine Mutter. Außerdem war sie Brechts Frau und seine Protagonistin. Sie hat 1971 die letzte Vorstellung der Courage gegeben. Ich begann damit 34 Jahre später. Ich gehöre zu einer anderen Generation, das gibt mir das Recht, eine neue Courage zu interpretieren, eine Courage, die jeder Krieg hervorbringt. Dass es der Dreißigjährige war, hat Peymann in seiner Inszenierung ausgespart. So rückt die Geschichte der Mutter und ihrer Kinder in den Mittelpunkt, bekommt aktuelle Bezüge.
    Mir war zum Beispiel wichtig zu zeigen, dass die Courage eine gute Mutter ist. Sie hält ihren Kindern großartige moralische Predigten: Der Schweizerkas, geistig nicht ganz auf der Höhe, soll wenigstens ehrlich sein – er stirbt an seiner Redlichkeit. Eilif, der Draufgänger, soll ein toller Kerl sein – und stirbt an seiner Kühnheit. Und die stumme Kattrin, die alles sieht, alles speichert, die stirbt an ihrer Gutmütigkeit. Es geht der Anna Fierling immer um die Tugenden, sie erzieht nach bestem Wissen und Gewissen und verliert alle drei. Aber fremde Kinder aus dem Feuer holen, das will sie nicht. Sie denkt nur an sich, garstig und stur. Ich fand es interessant, diese beiden so unterschiedlichen Seiten zu zeigen, das wollte ich neu interpretieren.
    Jede

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