Im Leben wird dir nichts geschenkt.
ewig dankbar. Bodenständig, wie er war, ahnte er kaum, worauf ich mich da einließ, und doch versuchte er nicht, mich aufzuhalten. Obwohl ich noch ein Teenager war, respektierte er, dass ich flügge geworden war. Alles, wovon ich geträumt hatte, rückte in greifbare Nähe. Endlich würde ich zu jenen Vögeln gehören, die ich stundenlang am Himmel beobachtet hatte.
Ich dachte nicht an die Einsamkeit des Lebens, das ich wählte. Ich konn te mir nicht vorstellen, was es bedeuten würde, fern von meinen Eltern zu leben oder mit attraktiven italienischen Playboys zurechtzukommen, die mich zum Kokaingenuss verführen wollen: »Das ist Spitze, kein Grund zur Sorge – du wirst dich super fühlen!« Meine Familie würde mich nicht trösten können, wenn ich von meinem hundertsten Vorstellungstermin mit einer weiteren knallharten Absage zurückkam. Kein heimischer Herd würde mich versorgen, wenn ich Hunger hatte, weil ich zu wenig Geld verdiente.
Meine Erfahrung beschränkte sich auf die monatelange Tätigkeit für dänische Kataloge und bei Modeshootings, bei denen mir freundliche Fotografen ein ums andere Mal bescheinigten, wie toll ich sei, wie gut ich aussähe und wie fabelhaft ich mich machte. Ich hatte mir selbst beigebracht, wie man sich ins rechte Licht setzt und posiert und so tut, als sei alles ein Kinderspiel. Man muss sich richtig bewegen und mit der Kamera eine harmonische Beziehung eingehen. Obwohl ich keine Erklärung dafür hatte, stellte ich fest, dass ich bald von selbst die Tricks heraus hatte, für deren Perfektion manche Jahre brauchten – welche Fähigkeiten auch immer dafür erforderlich waren, sie schienen mir einfach in die Wiege gelegt zu sein, und ich brauchte kaum irgendetwas zu lernen. Man kann das ähnlich bei Fußballspielern beobachten, die von Natur aus über einen guten Rhythmus und Spielansatz verfügen. Sie wissen instinktiv, wo auf dem Platz sie im rechten Moment zur Stelle sein müssen – entweder man hat es oder eben nicht.
Ich erinnere mich genau an den ersten Scheck eine Woche nach meinem Debut als Model. Die Bücherei und die Bäckerei hatten mir einen bescheidenen Stundenlohn gezahlt – winzige Summen – und die Hälfte davon gab ich meinem Vater. Mein erstes richtiges Honorar war etwas ganz anderes, und ich kam mir richtig cool vor. Ich hatte etwas zu Geld gemacht, von dem ich nie gedacht hätte, dass es in mir steckte. Es waren nur ein paar Hundert dänische Kronen, die damals vielleicht 150 Euro wert waren. Um das zu verdienen, was ich als Model pro Tag bekam, hätte ich in der Bäckerei monatelang arbeiten müssen. Dabei war das Geld gar nicht das Wichtigste, entscheidend war der Stempel der Model-Agentur auf dem Umschlag – der ganz offizielle Stempel! Ich rannte durchs Haus, um meiner Mum den Scheck zu zeigen.
»Okay«, sagte sie lächelnd, »zahl das aber besser auf ein Sparkonto ein – wenigstens die Hälfte, und gib den Rest für etwas Wichtiges aus.« Etwas Wichtiges! Natürlich rief ich sofort Susanne an, und wir nahmen den Bus zum Gråbrødretorv, wo jeder von uns ein ganzes Bier für sich bestellte. Diesmal mussten wir nicht teilen. Ich sah eine kurzärmelige Bluse, die ich haben wollte, und kaufte sie einfach so. Meine Familie war nie wohlhabend gewesen, und manchmal strickte meine Großmutter Pullover für mich – mit einem sicheren Gespür für die unsäglichsten Farben – und das war das erste Mal, dass ich mich nicht damit abfinden musste, beim Kleiderkauf auf Sonderangebote zurückzugreifen. Damals in den Siebzigerjahren waren für kurze Zeit Hosen mit Schlag populär. Endlich hatte ich selbst eine – allerdings zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Mode – und sah darin wie eine Witzfigur aus. Nun hatte ich nicht nur etwas Geld zur Verfügung, sondern war drauf und dran, selbst zur Modebranche zu gehören, und wusste daher sehr genau, was ich kaufen wollte.
Ich genoss die Erfahrung. Ich musste mich nicht mehr mit Schaufensterbummeln begnügen, sondern ging in eins der Top-Geschäfte von Kopenhagen, ließ die Sonderangebote links liegen und nahm mir Zeit, die neueste Kollektion Shirts und Blusen zu begutachten. Die ersten Schecks verwandte ich reihenweise für den Kauf von Kleidern und Schuhen. Ich kaufte mehr, als ich brauchte – zum Beweis meines Erfolgs. Keine von den Zicken, die mir an der Schule das Leben vermiest hatten, wären jemals auf den Gedanken gekommen, dass ich es so weit bringen würde. Es schien, als riefe ich ihnen zu: »Seht her!
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