Im Leben wird dir nichts geschenkt.
aus Leibeskräften zu schmettern, half mir ebenfalls, den Schulstress zu vergessen.
Auch Bücher waren mir sehr wichtig, und dank meiner Mum in der Bücherei lernte ich schon in frühen Jahren wichtige Autoren kennen. Mit neun las ich bereits Bücher für Erwachsene, und alles, was ich wegen meiner physischen Probleme nicht selbst erfahren konnte, sog ich aus Büchern auf. Sie boten mir eine weitere willkommene Ablenkung von allem, was mich in meinem Lebensumfeld bedrückte und mir fortwährend diese mulmigen Gefühle einjagte.
Meine neue Schule ermunterte ausdrücklich zu all den Dingen, die ich als meinen persönlichen Fluchtweg für mich behalten hatte. Sie tolerierten meine lebhaften musikalischen Darbietungen nicht nur, sondern baten mich zu singen. Und ich war nicht allein: Viele der anderen Schüler liebten Musik und hatten Spaß daran, selbst zu experimentieren. Darunter war auch ein Junge namens Christian.
Sämtliche musikalischen Aktivitäten an der Schule kreisten um Thomas Blachman. Er war arrogant, exzentrisch und glaubte, er habe ein gottgegebenes Talent für Musik – was den Tatsachen entsprach. Viele Ehemalige der Schule haben es später musikalisch zu etwas gebracht, und Thomas leitet heute die Jury der Dänischen Version von Deutschland sucht den Superstar . Damals waren Thomas und Christian der Inbegriff der Siebziger-Kids – sie kifften und waren Hippies, während ich mit meinen gebügelten Blusen eher an die adrette Olivia Newton-John oder Kids à la John Travolta erinnerte. Doch ihr alternativer Lebensstil hatte es mir angetan, was meine Eltern in den Wahnsinn trieb. Ich liebte ihre Musik, auch wenn ich mich entsinne, dass Thomas mich für einen Vollidioten hielt. Er fand, dass ich nicht singen konnte – für ihn gab es nichts anderes als Jazz – während ich ein wenig konservativer war. Trotzdem hatten wir eine tolle Zeit, und es dauerte nicht lange, bis ich mich in Christian verknallte.
Er hatte dunkles Haar, ein offenes Gesicht und sehr markante Wangenknochen. Seine Augen hatten diese schöne grüne Farbe, dazu kräftige Augenbrauen und volle Lippen. Christian hatte das längste, schönste Haar, das ich je bei einem Jungen gesehen hatte: Er war schön. Alle hielten ihn für den begehrenswertesten Jungen an der ganzen Schule. Ich hatte mich schon am ersten Tag in ihn verguckt, doch er erwiderte mein Interesse nicht. Während meine Gefühle bereits heftig und leidenschaftlich waren wie bei jedem pubertierenden Mädchen, war ich eine Spätentwicklerin, mit dem Körper eines Kindes: Ich war immer noch eine Giraffe, ohne den zartesten Ansatz von Brüsten. Ich hatte noch keine Periode und war im Prinzip von oben bis unten ohne Kurven. Ich hatte noch nie einen Jungen geküsst und sehnte mich danach, zu den Eingeweihten zu gehören – doch ich war immer noch nicht über meinen Brausekopf hinausgelangt.
Als dann mit der Pubertät endlich doch die physischen Veränderungen einsetzten, ging es schnell. Es passierte praktisch in drei Monaten in den Sommerferien. Plötzlich sah ich wie eine Frau aus, und Christian war interessiert.
Da hatte ich mir längst das Rauchen angewöhnt, da ich mir dachte, wenn schon keine Titten, dann wenigstens Zigaretten. Selbst die Mädchen, die schon gut entwickelt waren, rauchten. Alle, die beliebt waren, rauchten. Jeder fühlt sich beim ersten Lungenzug elend, doch ich wurde richtig krank und bekam eine hartnäckige Bronchitis. Das konnte mich jedoch nicht davon abhalten, mithilfe von Zigaretten meinen sozialen Status zu heben. Nicht lange, und ich schloss mich den Kiffern an, die ihre Joints in einer geheimen Ecke in der Schule drehten.
Sieht man einmal ab von meinen vierbeinigen, behaarten Freunden oder den gefiederten namens Magic, Bella und Prins, die sich auch früher zu freuen schienen, wenn sie mich sahen, war ich zum ersten Mal als Teil eines Freundeskreises voll akzeptiert. In den zwei Jahren an der experimentellen Schule bekam ich allmählich das Gefühl, vielleicht doch zu etwas zu taugen. Es war ein Ort voller positiver Energie, Heiterkeit und Wissbegier, wo Lernen Freude machte. Bis heute kann ich mich erinnern, wie ich beschloss, mich mit den Hochlandindianern von Peru zu beschäftigen, und wie ich es faszinierender fand als irgendetwas, das ich je für die Schule gelernt hatte.
In der neunten Klasse gründete ich zusammen mit Thomas und Christian eine Band, und wir führten Tina Turners »Proud Mary« auf. Später lernte ich Tina kennen, und wir
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