Im Leben wird dir nichts geschenkt.
mir prophezeit worden war. Meine Träume wurden von dem romantischen Abschiedsabend beflügelt, den ich tags zuvor mit Christian verbracht hatte. Ich hatte die innere Gewissheit, dass wir beide den Rest unseres Lebens miteinander verbringen würden. Ich liebte ihn heiß und inniglich und konnte sehen, dass er dasselbe für mich empfand. Ich würde nicht lange fort sein und es hätte nichts zu bedeuten. Wir waren sicher, dass unsere Gefühle zueinander all das überstehen würden.
Wie sich jedoch zeigen sollte, tat ich mich schwer damit, Fernbeziehungen aufrechtzuerhalten. Meine Liebe musste immer neu entfacht werden, um nicht zu verglimmen, doch in der besagten Nacht im Zug ging mir nur eines durch den Kopf: Die Welt wartet auf mich, und dazu gehört auch der richtige Junge.
Der Zug traf in den frühen Morgenstunden in Hamburg ein, und schon wirkte alles ganz anders. Es schneite, und ich musste ganz allein zusehen, wie ich in die Wohnung kam. Niemand öffnete die Tür, und ich hockte die ersten Stunden meines vielversprechenden neuen Lebens mit meinem Koffer auf der Treppe. Meine Zuversicht und Aufregung gefroren in der Kälte und ich fühlte mich verloren, albern und zu jung, um allein meinen Mann zu stehen. Ich heulte, schon vor Kälte und Müdigkeit. Erst nach acht Uhr wachte jemand auf und ließ mich herein.
In der Eigentumswohnung der Agentur waren fünf weitere Mädchen untergebracht – alles ehrgeizige Models, die sich mächtig ins Zeug legten, um Aufträge zu bekommen. Mein Erfolg in Dänemark zählte hier nicht sonderlich. Wir wurden zu endlosen »go-sees« geladen, wie man die Casting-Termine von Models nennt. Wenn meine schmale Mappe mit Fotos aus Dänemark für einen anstehenden Job in Betracht kam, wurde ich jeweils zur Überprüfung hinzugezogen. Sie schauten kaum hoch und schon lautete das Urteil »Nein«. Ein ums andere Mal lief das so ab: Hamburg gab mir den Vorgeschmack darauf, was es heißt, abgewiesen zu werden. Ich hatte mich als Model nie zuvor sonderlich abmühen müssen. Kühl, knapp und gelangweilt wurde mir beschieden: »Nein – die Nächste«, »Untauglich – die Nächste!«, »Falsches Lächeln … zu dünn … zu dick …« Man war manchmal kaum drinnen und in weniger als einer Minute schon wieder draußen. Hunde bei der Ausstellung von Crufts werden mit mehr Respekt behandelt. Die Demütigungen zogen sich über Tage hin, an denen ich mit dem Bus durch die Stadt irrte, immer unter dem Druck, mich ja keine Sekunde zu verspäten, nur um dann von der Agentur gleich wieder vor die Tür gesetzt zu werden und mich für die nächste Enttäuschung bereitzuhalten.
Wenn ich Arbeit bekam, dann meist für Kataloge. Nicht besonders reizvolle Vierzehn-Stunden-Aufträge, die aber gut bezahlt wurden und meiner Selbstachtung wieder Auftrieb gaben. Ich hatte mich schon in die Schulzeit zurückversetzt gefühlt, und nach jedem »Nein« spürte ich, wie der Giraffenhals wieder länger wurde.
Die Wirklichkeit des Modelns ist hart und erniedrigend. Gefühle hält man besser heraus. Ich konnte mir kein Selbstmitleid leisten, wenn ich so betrachtet wurde, als wäre nichts weiter an mir dran als die Kleider, die ich gerade trug. Man hatte die Wahl, entweder aufzugeben oder eine Einstellung zu entwickeln, bei der man allen zeigte, dass man mit sich und der Welt im Reinen ist. Dafür entschied ich mich schließlich: sich zu voller Größe aufrichten, lächeln und danke sagen, wenn einem beschieden wird, man möge bitteschön verschwinden. Auf zum nächsten Termin. Innerlich war ich oft ziemlich aufgelöst, und wenn ich es schaffte, einen Job zu bekommen, war da ständig die Angst, es könnte der letzte sein.
Die Wartezimmer der Agenturen waren voller Mädchengruppen, die hemmungslos miteinander schluchzten. Angehende Models zwischen vierzehn und fünfzehn zitterten nervös, während sie auf die Ansage warteten, die den entscheidenden Durchbruch oder aber den nächsten Magentiefschlag bringen würde. Meine Jahre der Hänselei und der Schikane an der Schule erwiesen sich da in gewisser Hinsicht als nützlich. Die Mädchen, die es seit je gewohnt waren, als die Schönsten zu gelten, hatten es viel schwerer, sich damit abzufinden, dass sie nur ein Gesicht unter vielen waren.
Die Agentur war so glücklich wie ich darüber, dass sich die Lücken in meinem Terminplan füllten, wobei sie ganz pragmatisch blieb: Ich war für sie eine Investition, sie kam für meine Kosten in Deutschland auf. Sie zahlten für meine
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