Im Licht der roten Erde
Beth.
»Zunächst hatten wir einen holprigen Start, doch die Steeles waren gewillt, sich unsere Situation erklären zu lassen. Anschließend haben sie uns ihren Standpunkt verdeutlicht und uns zu Tee und Plätzchen eingeladen.« Er lächelte Mick Duffy an. »Möglicherweise waren all die Jahre überzeugender Beweisführung doch nicht umsonst.«
»Und was ist dabei rausgekommen?«, fragte Alan.
»Dürfen wir die Malereien nun sehen oder nicht?« Veronica klang ungeduldig.
»Wir dürfen«, sagte Beth. »Dank euch allen. Die Steeles erlauben uns, zusammen mit den Barradja-Ältesten auf den Eagle Rock zu steigen. Sie sind damit einverstanden, dass dort die Zeremonien abgehalten werden – doch sie dulden definitiv keine weiteren Außenstehenden.«
»Warum nicht? Das macht doch keinen Sinn«, entgegnete Veronica verwirrt.
»Sie möchten nicht, dass die Ältesten Besucher auf ihr Land mitnehmen. Ende der Geschichte«, sagte Beth.
»Warum nicht?«
»Vielleicht ziehen sie in Erwägung, das zu tun, womit viele andere Pastoralisten ihr Einkommen aufbessern: Besucher über ihren Besitz zu führen und ihnen die Felskunst zu zeigen. Obwohl sie dazu eine offizielle Erlaubnis brauchen, wenn sie es auf legalem Wege machen wollen.«
Barwon reagierte ungehalten. »Die Malereien sind Besitz der Barradja – sie wissen weitaus besser darüber Bescheid als die Pastoralisten, hab ich recht, Ardjani?«
»Nur wir kennen die ganze Geschichte der jeweiligen Bilder. Die
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und Ahnengeister haben sie uns erzählt. Das musst du ihnen erklären, Beth.«
Beth holte tief Luft. »Es geht nicht nur darum, etwas zu einem Bild zu erzählen, und es sind nicht allein spirituelle Verpflichtungen damit verbunden, die Barradja verstehen sich auch als Hüter. Nur sie kennen die genauen Einzelheiten. Kein Außenstehender, der gerade mal einen Blick darauf wirft, kann die Tiefe der Bedeutung dieser Bilder erfassen. Die Geschichten dazu stehen nirgendwo geschrieben, sie sind Teil einer der ältesten mündlichen Überlieferungen der Welt.«
Ardjani erhob sich. »Das Volk der Barradja dankt euch. Heute war ein guter Tag.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er tippte anerkennend an seine Hutkrempe.
Sie ließen sich zwischen den Wasserlilienblättern in dem klaren Fluss treiben, während sich die kleinen Jungs lautstark von der Spitze eines abgestorbenen Baumes in die Fluten stürzten. Susan berichtete Veronica ausführlich von ihrem Nachmittag bei den Steeles.
Es war Veronica schwergefallen, Alistairs diplomatischer Bemerkung zuzustimmen, eine ABC -Journalistin könne die Steeles einschüchtern und ihre Chancen, deren Einverständnis zu bekommen, verringern. Nachdem Susan ihr die Ereignisse geschildert hatte, ließen sie sich flussabwärts treiben, bis Luke sie zurückrief und vor dem
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Becken warnte. »Wir schwimmen nur hier, in diesem Teil, in dem Wasserloch dort unten warten die Kindgeister.« Er hielt sich die Nase zu, zog die Beine an und machte eine »Bombe« von einem Ast, der vom Ufer her über den Fluss ragte, in das olivfarbene warme Wasser.
Als die Sonne hinter die Baumkronen sank, setzten sie sich auf einen gefällten Stamm zum Trocknen. Jennifer und Beth gesellten sich zu ihnen. »Fasst mal euer Haar an, es wird sich nie wieder so weich anfühlen. Dieses
wunggud-
Wasser bewirkt Wunder«, sagte Jennifer.
»Nun, Jennifer, sind die alten Männer einverstanden, morgen mit uns nach Eagle Rock zu fahren?«, fragte Susan und rubbelte sich ihr Haar mit ihrem Handtuch trocken.
»Ich denke schon. Sie kommen später zu euch ans Lagerfeuer.«
Veronica schwieg und blickte auf die dunkle, spiegelnde Wasseroberfläche des Flusses, die das seidige Lila der sich herabsenkenden Dämmerung angenommen hatte. »Ich liebe diese Tageszeit«, sagte sie leise.
Die vier Frauen verstummten, jede hing ihren eigenen Gedanken nach. Veronica durchbrach die Stille. »Beth, was hat Luke damit gemeint, als er sagte, der Teil des Flusses da unten sei das Kindgeister-Becken?«
»Genau das. Erklärst du’s ihr, Jennifer?«
Jennifer lächelte sie freundlich an und fing an zu erzählen: »Die Barradja glauben, dass es andere Möglichkeiten gibt als bei den Weißen, ein Kind zu empfangen. Zunächst einmal träumt der Vater von dem Kindgeist. Vielleicht sieht er ihn beim Jagen, oder er ruft ihn, wenn er unterwegs ist. Manchmal geht der Kindgeist in das Tier über, das sich fangen lässt, damit der Mann es seiner Frau zum Essen
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