Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
Vom Netzwerk:
kühler und bequemer.« Beth streckte die Hände aus und nahm ihr das Baby ab, damit Jennifer und ihre Mutter abspringen konnten.
    Zu Billys offensichtlicher Freude stiegen sie rasch in den Wagen, und schon bald waren sie auf dem Weg nach Eagle Rock. Veronica erkundigte sich bei Jennifer nach Jimmy.
    »Er ist mit dem Rest unserer Leute nach Derby gefahren«, kam Beth ihr bei der Antwort zuvor. »Er hätte ohnehin nicht zusammen mit Lilian herkommen können, weil sie seine Schwiegermutter ist. Er darf sie nicht sehen. Das ist Gesetz.«
    »Das klingt für mich nach einem guten Gesetz«, sagte Mick.
    »Hört, hört«, fügte Alistair an.
    Jennifer lächelte. »Das bedeutet nur, dass er ihr nicht unmittelbar bei der Verrichtung der Rituale zusehen darf.«
    »Wie lernt ihr bloß all diese Gesetze? Scheint so, als könne man ziemlich leicht ins Fettnäpfchen treten«, sagte Mick.
    »Wir lernen sie von Geburt an. Ich unterrichte bereits meinen kleinen Burschen hier. Ich erzähle ihm, wer seine
skin-
Mütter, -Schwestern, -Onkel und -Brüder sind, und ich zeige ihm eine kleine Geste, damit er, wenn er groß ist, seine Verwandtschaft anhand dieser Geste erkennen kann.«
    »Was ist ein
skin-
Verwandter?«, fragte Susan, fasziniert und verblüfft von der Komplexität dieser sozialen Beziehungen.
    »Ich bin die Blutmutter meines Babys, aber meine Schwestern und andere Mütter sind seine
skin-
Mütter, seine Sippenmütter, und all deren
skin-
Schwestern sind Teil seiner Verwandtschaft. Es ist ein Beziehungssystem, in dem verschiedene Leute vieles darstellen können – Mutter, Vater, Onkel, Tante. Sie sind für unsere Kinder keine Fremden, jeder steht zu den anderen in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung, wobei wir nicht zwischen Blutsverwandten und Freunden unterscheiden.«
    »Stellt euch vor, wie sicher sich diese Kinder fühlen«, sagte Beth. »Ihnen wird von ihrer Verbindung zu allem und jedem um sie herum erzählt – Pflanzen, Bäumen, Felsen. Ja, auch dazu, genau wie zu den Menschen. Es ist Teil der Entwicklung ihres Selbstgefühls. Selbstachtung, wie wir dazu sagen, wird sozusagen von Grund auf angelegt.«
    »Dann kann ich mir gut vorstellen, dass diese Menschen keine Workshops zum Thema Vertrauensbildung, Bewusstwerdung, spirituelles Wachstum oder Selbstfindung brauchen«, sagte Alistair nachdenklich.
    »Bei uns versteht man das als ein Geburtsrecht«, sagte Lilian ruhig.
    »Den meisten Weißen, die die Kultur der Aborigines im Allgemeinen für tot halten, ist das ein Rätsel«, erklärte Jennifer. »Meine Kinder lernen, wie sie sich anderen Verwandten gegenüber zu verhalten haben, welche Aufgaben ihnen zufallen, welche Gesetze sie befolgen müssen. Sie erfahren alles über die Welt um sie herum: körperlich, geistig und auf künstlerische Art und Weise. Sie lernen die Geschichten, Lieder und Tänze, die mit alldem verbunden sind, und zwar fast täglich.«
    »Und schon so jung?« Veronica blickte das knuffige Kerlchen in Jennifers Schoß an.
    »Ja, ich erzähle ihm jeden Tag davon. Er lernt allein schon vom Klang meiner Stimme. Wir glauben, dass man Wissen nicht allein aufgrund von Worten in sich aufnimmt. Wissen fließt zwischen den Menschen, genau wie Gefühle.«
    »Das ist so, wie wenn man kleinen Kindern vorliest. Mein Sohn liebt das, selbst wenn er nichts davon versteht; es geht nur darum, die Geschichte zu hören und mich in seiner Nähe zu haben«, sagte Alan.
    »Liest du ihm aus Kunstbüchern vor?«, zog Mick ihn auf. Er konnte sich gut vorstellen, wie Alan dem Kleinen farbenprächtige Kunstbände zeigte.
    Mittlerweile hatten sie sich daran gewöhnt, dass Veronica zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Mikrofon herauskramte. Sie hatte damit begonnen, Material für eine Radioserie zusammenzustellen, und freute sich, Jennifers Erklärung zum Verwandtschaftssystem der Aborigines aufgenommen zu haben. »Also, Alan, du bist hier der Kunstexperte, erzähl uns von der
wandjina-
Galerie, die wir zu sehen bekommen werden.«
    »Davon zu erzählen, ist Sache der Ältesten. Ich möchte ihre Geschichten über diese Stätte hören. Die Kunstwerke sind nur ansatzweise dokumentiert. Wir haben zwar die Aufzeichnungen von George Grey, der die Felsmalereien als erster Weißer erblickte, doch es mussten mehr als hundert Jahre vergehen, bis man sie 1947 erneut entdeckte. In den 1950 ern wurden ein paar Fotografien veröffentlicht, und seitdem kursieren alle möglichen verqueren Versionen darüber, was die
wandjina-
Malereien

Weitere Kostenlose Bücher