Im Licht der roten Erde
Um Himmels willen, das ist für mich absolut kein Spaß!«
»Haben Sie eine Ahnung, weshalb sie dort sind? Wie lange geht das schon?« Susan sprach so sanft, wie es ihr möglich war, obwohl es ihr nicht leichtfiel, dieser durchgeknallten Frau Mitgefühl entgegenzubringen.
»Seit etwa achtzehn Monaten. Seit ich das erste Mal hier war.« Sie trank den letzten Schluck Wasser und reichte Beth das Glas. »Es ist schon in Ordnung. Ich nehme ein paar Schlaftabletten.«
»Möchten Sie, dass wir bleiben?«
»Nein. Wenn es vorbei ist, geht es mir gut. Bis zum nächsten Mal.«
Jennifer begleitete die beiden Frauen hinüber ins Zeltlager. »Sie ist sehr krank. In ihr hausen böse Geister.«
»Meinst du, sie muss exorziert werden oder so was in der Art? Was denkst du, Beth?« Susan zweifelte ernsthaft an Rowenas geistiger Gesundheit.
»Das könnte eine Erklärung für ihr aggressives Verhalten sein. Sie kann ihre inneren Kräfte nicht unter Kontrolle bringen und versucht deshalb, alles und jeden um sie herum zu manipulieren.«
»Danke, dass ihr gekommen seid«, sagte Jennifer herzlich. »Zuerst war ich mir ziemlich sicher, dass es sich um einen epileptischen Anfall handelt. So ein Anfall erinnert stark an das, was einem Aborigine widerfährt, wenn böse Geister in ihn einfahren, weil er unser Gesetz gebrochen hat.«
»Du meinst … du meinst, Rowena könnte von einem bösen Aborigine-Geist befallen sein?«, fragte Susan zweifelnd.
»Genau danach sieht es aus«, erwiderte Jennifer.
»Was – wenn überhaupt – kannst du tun, sollte Rowenas Problem tatsächlich …«, sie zögerte einen Augenblick, um nach den richtigen Worten zu suchen, »… spiritueller Natur sein?«
»Ich werde mit meiner Mutter und Ardjani reden, aber ich denke, wir brauchen einen
banman.
«
»Einen was? Wen?«
»Eine Art Vermittler zwischen dem Hier und der Welt der Geistwesen«, erklärte Beth, »der sich unter anderem mit den traditionellen Heilkünsten auskennt.« Sie breitete ein Stück Tuch auf dem Boden vor ihrem Zelt aus, und die drei Frauen, die jetzt hellwach waren, setzten sich mit überkreuzten Beinen hin und unterhielten sich leise unter dem Sternenhimmel.
Jennifer erzählte ihnen Genaueres über die Rolle des
banman
im Leben der Aborigines. »Es gibt heutzutage nur noch wenige von ihnen. Bedeutende Männer mit besonderem Tiefblick, besonderen Kräften. Ein bisschen wie die Schamanen.«
»Klingt nicht nach etwas, was der Australische Medizinerverband unterstützen würde«, scherzte Susan. »Was tut ein
banman
denn so?«
»Vieles davon ist geheim, aber man findet keinen einzigen Aborigine – schon gar nicht unter den streng traditionsverbundenen –, der sich über einen
banman
hinwegsetzen würde.«
Susan bemerkte den versteckten Tadel und wurde ernst. »Du meinst, sie erzielen mit psychologischen Mitteln ebensolche Heilerfolge wie die Medizin?«
»Ja, ich denke, das trifft in gewissem Umfang zu. Sie setzen ein spezielles Wissen ein, über das nur sie verfügen. Frag mich nicht, woher sie es haben. Man könnte sagen, es ist eine Gabe. Auf alle Fälle funktioniert es.«
»Wenn man daran glaubt«, fügte Beth hinzu. »Es mag uns, die wir aus einer modernen Industrie- und Wissensgesellschaft kommen, in der fast alles logisch erklärt wird, vielleicht merkwürdig erscheinen, doch die alten Aborigines sind der Ansicht, dass wir auf diesem Gebiet einen Fehler gemacht haben. Wissen, das nicht erklärt werden kann, ist in den modernen westlichen Gesellschaften im Laufe der Jahrhunderte verlorengegangen. Sie dagegen behaupten, es sich bewahrt zu haben.«
»Hmm.« Susan stützte sich auf ihre Hände, lehnte sich zurück und blickte hinauf in die Sterne. Einen Augenblick lang sagte niemand ein Wort. »Das erinnert mich ein wenig an Geistheilung durch Handauflegen … die alte, auf Jesus Christus zurückgehende Heilmethode, die in Amerika noch immer sehr populär ist.«
»Vielleicht, aber es ist viel mehr als das«, erklärte Jennifer. »Der
banman
muss hellseherische Kräfte haben, in der Lage sein, wie mit Röntgenaugen in deinen Körper zu blicken, sogar über telepathische Fähigkeiten sollte er verfügen.«
Es war die Überzeugung in Jennifers Stimme, die Susan verwirrte. Sie stellte sie sich in ihrer gestärkten Uniform vor, wie sie ihre Runden durch die Zimmer in einem modernen Lehrkrankenhaus drehte. Ihr Vortrag über
banmen
und Geister schien ihr damit unvereinbar. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren
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