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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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legten die Touristen eine Pause ein, und auf Bitte eines der Fotografen begann Rowena mit gedämpfter Stimme zu erzählen.
    »Hier irgendwo gibt es einen Ort … einen ganz besonderen Ort, an dem das Allerheiligste der ganzen Schöpfung bewahrt wird – sozusagen der Heilige Gral der Aborigine-Kunst. In einem einzigen Bild steckt der Schlüssel zur gesamten Geschichte, und es strahlt eine solche Kraft aus, dass alle, die es sehen, daran glauben. Ein einziges Gemälde enthält den Schlüssel zum Herzstück dieser Kultur.«
    Die Europäer waren wie gebannt. »Wie alt ist es? Haben Sie es schon gesehen?«, fragte der frankokanadische Fotograf Rowena. Die Frage erweckte Franks Aufmerksamkeit, denn es war das erste Mal, dass er von einem solchen Ort hörte.
    Rowena schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Der Älteste der Barradja, Ardjani, hat mir von diesem Ort erzählt. Er ist so heilig und geheim, dass nur äußerst ranghohe
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dorthin dürfen. Er ist unvorstellbar alt, doch gut erhalten, weil er sehr geschützt und versteckt liegt.«
    »Wo ist das genau, und in wessen Besitz befindet er sich?«, erkundigte sich der Schweizer und zog dabei ein Objektiv aus seiner Tasche.
    »Er gehört den Barradja, und so wie ich es verstanden habe, liegt dort der Ursprung ihrer gesamten Spiritualität.«
    »Vielleicht sollten Sie nicht über diese Dinge sprechen.« Hunters Stimme klang vorwurfsvoll, warnend.
    »Was wissen Sie schon, Hunter? Sie sind nicht initiiert, Sie sind ein Stadtbursche.« Sie sprach beiläufig und schien nicht beleidigt zu sein wegen seiner barschen Bemerkung.
    »Ich bin nicht vollständig initiiert, weil man mich meiner Stammesfamilie weggenommen und in eine Mission gesteckt hat. Auch wenn ich auf dem Besitz eines weißen Mannes aufgewachsen bin, habe ich doch genug gelernt, um zu wissen, dass Sie die heiligen Stätten nicht ohne die Erlaubnis der Ältesten betreten dürfen.« Er warf Len Steele einen grimmigen Blick zu, der geduldig erklärte, er habe Rowena gestattet, die Besucher hierher auf seinen Besitz zu bringen.
    »Seit Jahren höre ich in der Kimberley Geschichten über das, was Sie den ›Heiligen Gral‹ nennen. Es ist ein geheimer Ort, und niemand ist je in der Lage gewesen, ihn zu finden.«
    »Wen interessiert das schon? Ich erzähle bloß eine Geschichte. Eine wahre Geschichte.« Rowena beendete das Thema. Die Gruppe setzte sich in Bewegung, um die Felsmalereien in Augenschein zu nehmen, die ersten auf ihrer Tagesroute. Len Steele und Frank Ward blieben hinter ihnen zurück. »Das haben wir alles schon gesehen. Wir warten hier.«
     
    Rowena führte die Gruppe an, den beschwerlichen Aufstieg zwischen den Felsen hindurch zu dem Felsdach mit den
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Malereien. Sie hatte die Höhle bei einer ihrer früheren Wanderungen in dieser Gegend entdeckt. »Bitte berühren Sie die Bilder nicht, aber Sie dürfen gerne Fotos machen«, verkündete sie. Nachdem sie die beeindruckenden Gemälde von den
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den jahrhundertealten Ocker auf der Felswand sowie die kleineren Bilder, zu denen auch die Eule Dumbi gehörte, betrachtet hatten, deren Geschichte Rowena nicht kannte, machte sich die Gruppe an den Abstieg. Sie stützten sich auf einzelne, eigentümlich aussehende Felsen, nicht wissend, dass es sich dabei um
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handelte, Traumzeittotems, die sich in geheime, heilige Steine verwandelt hatten und wegen der ihnen entströmenden Energie nicht selten als Zauberwaffen genutzt wurden. Ihnen war auch nicht bewusst, dass sie gleich mehrere Tabus brachen.
    Achtlos ging die Gruppe weiter, gefolgt von Len und Frank. Rowenas Stimme hallte über die uralte Landschaft.
    »Len ist einverstanden, dass wir zu einer äußerst faszinierenden Stätte fahren – zu den sogenannten Bradshaws. Sie liegen noch auf Eagle Rock, die Fahrt dorthin dauert nur etwa fünfzehn Minuten.« Sie wusste, wie riesig diese Stationen den Europäern vorkommen mussten.
    »Und was sind diese Bradshaws?«
    »Eine ziemlich bedeutende Sache.« Rowena war in ihrem Element mit ihrer aufmerksamen Schar von Zuhörern – und niemandem, der sie herausforderte. »Felsmalereien, die von Joseph Bradshaw, einem Siedler, der Land suchte, im Jahr 1891 entdeckt wurden. Diese Figuren sind alt, wir sprechen hier von siebzehn- bis zwanzigtausend Jahren, einige Bilder sollen sogar fünfzigtausend Jahre alt sein. Sie sind in ihrer Ausführung einzigartig und unterscheiden sich von der übrigen Aborigine-Kunst durch ihre äußerst zarte, feine

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