Im Licht der roten Erde
fällt und sich das Bein bricht?«
Andrew war nicht beleidigt. Er lachte. »Wir erschießen ihn nicht, um Gottes willen. Wir rufen die Fliegenden Ärzte zu Hilfe.«
Dennoch konnte Susan die pragmatische Haltung erkennen, die Andrews Denken bestimmte.
Er spürte, wie aufgewühlt sie war, und berührte ihre Hand. »Susan, denken Sie nicht, ich betrachte die Aborigines als Menschen zweiter Klasse. Auf einer Station sind sie äußerst wichtige, entscheidende Männer. Großartige Reiter und gut im Umgang mit Vieh. Sie haben bei der Erschließung des Westens eine bedeutende Rolle gespielt, und das seit langer Zeit schon. Wissen Sie, als ich aufgewachsen bin, verband mich eine enge Freundschaft mit einem Aborigine.« Nachdenklich hielt er inne.
Diese Bemerkung ließ Susan stutzen. »Ach, und jetzt können Sie sagen: Ein paar meiner besten Freunde sind Aborigines, stimmt’s?« Sie lockerte ihren Sarkasmus mit einem Lächeln auf.
Andrew blickte sie an, unsicher, ob er ihre Worte als Scherz oder Affront auffassen sollte, und beschloss, sie ihr durchgehen zu lassen. »Es ist eine Sache, über die ich nicht viel rede.« Er füllte ihre Weingläser nach. »Ich war vier, mein Bruder war gerade auf die Welt gekommen, und bei all der Aufregung achtete man nicht so sehr auf mich wie sonst. Also watschelte ich los zu einem kleinen Spaziergang, und noch bevor jemand etwas merkte, war ich schon unten beim Lager der Schwarzen in der Nähe des Bachlaufs. Ich ging auf Entdeckungstour, kletterte über ein paar Schraubenbaumwurzeln, stolperte und fiel in den Bach. Ich konnte nicht schwimmen, doch ich war geistesgegenwärtig genug, mich an einen Ast zu klammern und aus voller Lunge zu schreien.«
»Wer hat Sie gerettet?«
»Dieser schwarze Junge. Er war damals erst sechs. Ein ziemlicher Einzelgänger, der immer wieder den Frauen im Lager entwischte.«
»Wie Sie.«
»Ja. Nun, er sprang in den Bach – er war im Wasser zu Hause wie ein kleines Schnabeltier –, nahm mich huckepack und schwamm zurück ans Ufer.«
»Er muss ja ein ganz schöner Held gewesen sein.«
Andrew lächelte. »Wir haben nie jemandem davon erzählt. Ich schätze, wir ahnten, dass wir Ärger bekommen und strenger beaufsichtigt werden würden. Und so haben wir angefangen zu spielen; meine Klamotten trockneten, und ich schlenderte zum Mittagessen nach Hause. Die Erwachsenen waren stets außer sich, wenn sie feststellten, dass ich verschwunden war, doch ich fing an, es zur Gewohnheit werden zu lassen, und weil ich immer wieder auftauchte, nahmen sie es irgendwann hin. Binnen eines Jahres verbrachte ich die meiste Zeit des Tages mit Hunter. Er brachte mir bei zu fischen, Eidechsen zu fangen, einen Speer zu werfen, alle möglichen Dinge. Wir waren wie Brüder. Bis zur Pubertät teilten Hunter und ich alles, dann wurde er initiiert, und mir war untersagt, an dieser rituellen Einführung in die Gemeinschaft teilzunehmen. Die alten Männer schafften ihn fort, und als er mit seinen Skarifizierungen – das sind mit einem scharfen Steinmesser eingeritzte Linien auf Schulter, Brust und Bauch – zurückkehrte, war er beschnitten und sagte, er könne nicht darüber sprechen. Er war verändert, wirkte älter, anders. Außerdem hatte er keine Zeit mehr, so mit mir zu spielen wie früher, er hatte jetzt Pflichten und musste viele Dinge lernen.«
»Sie nicht?«
»Doch, natürlich. Ich habe immer beim Zusammentreiben und Einpferchen der Rinder geholfen. Hunter und ich erhielten nach wie vor zusammen Fernunterricht von der School of the Air, unsere Aufgaben wurden uns per Kurzwellenfunk übermittelt, die Unterrichtsmaterialien per Post zugestellt. Wir saßen vor dem Haus unter dem Pfefferbaum, ein Funksprechgerät auf dem Tisch. Mein Bruder Julian, Hunter und ich lernten seit Ewigkeiten so.«
»Was ist passiert?«
»Es kam der Tag, an dem ich zwölf wurde. Man schickte mich aufs Internat, und als ich in den Weihnachtsferien nach Hause kam, war Hunter fort. Er war in eine Missionsschule gesteckt worden, und wir verloren den Kontakt.«
»Sie haben ihn seitdem nicht wiedergesehen?« Als Andrew den Kopf schüttelte, streckte Susan den Arm aus und drückte seine Hand. »Das ist traurig.«
»Wie dem auch sei, ich kann immer noch einen Bumerang werfen.« Er lachte. »Vielleicht ist das eine Sache, die Sie lernen sollten, wenn Sie im Westen sind. Fahren Sie rüber?«, fragte er plötzlich.
»Durch die Nullarbor-Ebene? Sind Sie wahnsinnig?« Susan lachte ebenfalls.
»Warum
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