Im Licht der roten Erde
Mit der Zeit entwickelten Ardjani und Beth ihre Idee eines zweigleisigen Denkens, bei dem jeder von der Kultur des anderen lernte.
Als Ardjani sie zum ersten Mal in das Reservat in Marrenyikka am Rande des Barradja-Landes mitnahm, wusste Beth, dass man sie akzeptiert hatte. Und dann hatte es diese sieben Jahre gebraucht, bis sie eine Frau von hohem Rang geworden war.
»Nun, wie stehen die Dinge bei dir?«, erkundigte sich Rusty.
»Gut. Und wie läuft die Jagd?«, fragte Beth zurück.
»Sehr gut. Digger hat ein großes
bungarra
erwischt.«
Digger nickte und grinste. »Ein possierliches Kerlchen, dieser Waran. Wir haben Klein-Luke mitgenommen und ihm das Jagen gezeigt.« Digger war Ardjanis jüngerem Sohn sehr zugetan.
Aus dem Augenwinkel sah Beth, dass jemand auf sie zukam. Sie wandte sich um und erblickte Ardjani.
Er war jetzt in den frühen Siebzigern, doch er ging noch immer mit der geschmeidigen Anmut des Tänzers, der er war. Mittelgroß, schlank, schwarze Jeans, rotes Hemd mit bis zu den Ellbogen aufgekrempelten Ärmeln, ein schwarzer Stetson, der sein Gesicht beschattete. Er war barfuß. Mit einem breiten Grinsen schüttelte er Beth’ Hand und berührte sie dann kurz in einer vertrauten Geste an der Schulter.
»Was gibt’s Neues?«, fragte Beth und lehnte sich auf ihrem Plastikstuhl zurück.
»Alles ruhig. Könnte sich aber bald ändern. Diese amerikanische Lady kommt wieder. Rowena. Die Film-Frau.«
»Die, die dich nach Disneyland mitgenommen hat?«
Ardjani hob die Hand und schlenkerte mit dem Handgelenk, um ihr eine grellbunte Mickymaus-Uhr zu zeigen. »Disneyland. Netter Ort. Aber zu viele Leute.«
Beth war unverzüglich auf der Hut, wenn sie an die amerikanische Frau dachte, die Ardjanis Zauber auf seiner Amerikareise vor achtzehn Monaten verfallen war und die ihm erst nach Marrenjowan und anschließend nach Marrenyikka gefolgt war. Sie war zu gefühlsbetont, zu überkandidelt gewesen, zu voll mit L.A.-typischem Psychogefasel, zu voll mit aberwitzigen Plänen. »Hat sie gesagt, warum sie wiederkommt?«
»Filmarbeiten! Ihr Daddy ist ein großer Fisch in Hollywood. Wir sind zu ihr nach Hause gefahren. Sah aus wie ein Schloss.«
»Nun, wir werden sehen«, tat Beth seine Bemerkung ab.
»Willst du Filmstar werden?«, fragte Rusty.
»Vielleicht.« Ardjani strich sich mit einer gelackten Geste das Haar glatt, was die anderen zum Lachen brachte.
»Du bist schon in genug Filmen zu sehen gewesen.« Beth wechselte das Thema. »Ardjani, ich habe dir am Telefon von dem Baby erzählt, das in der Kunstgalerie von Melbourne ausgesetzt wurde. Das Kind ist zur Hälfte Aborigine. Es war in ein Tuch gewickelt, handbedruckt mit kleinen Eulen … die Dumbi-Geschichte. Kannst du damit was anfangen?«
»Mmm. Dumbi ist unsere Geschichte. Wie kommt sie in die Kunstgalerie von Melbourne?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich habe das Baby gesehen, mit der Frau von der Fürsorge gesprochen. Wir wissen, dass die Mutter des Babys Weiße ist, das arme Ding wurde ermordet.«
»Und wo ist der Vater? Ist er Aborigine?«
»Offensichtlich. Aber niemand weiß, wer er ist. Wir dachten, das Dumbi-Tuch könnte ein Hinweis sein.«
»Wenn er ein Barradja ist, gehört das Baby hierher.«
»Aber wer kümmert sich um die Kleine, wenn der Vater nicht da ist? Die Polizei sagt, die Familie der Tochter sei nicht an dem Mädchen interessiert.«
»Sie wollen kein schwarzes Kind?«
»Ich kenne den Grund noch nicht.«
»Bring dieses Baby zu den Barradja, wir sind alle eine Familie.«
»Die Behörden werden das Kind nicht freigeben, wir müssen erst nachweisen, dass die Kleine zu eurem Stamm gehört, und jemand wird offiziell die Mutterrolle übernehmen müssen.«
Ardjani streckte die Arme aus. »Dann müssen wir eben den Vater finden, und dann wissen wir, wer die neue Familie ist. Sie wird auf das Baby achtgeben.«
Beth seufzte. »Ich hoffe, wir können ihn ausfindig machen. Das Baby ist gut aufgehoben bei der Fürsorge, aber es braucht seine richtige Familie, die es liebt und großzieht.«
»Es wird gut sein für die Kleine, hier aufzuwachsen. Du weißt, wir fangen schon sehr früh an, unsere Kinder zu unterrichten, damit sie wissen, woher sie kommen und wo ihr Platz in dieser Welt ist. Das ist wichtig für Kinder. Wir bringen ihnen diese Dinge bei, um gute Menschen aus ihnen zu machen. Unsere Barradja-Kinder kommen nicht vom Weg ab wie so viele weiße.«
»Das stimmt. Unsere weiße Gesellschaft und viele weiße Eltern scheinen mit
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