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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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weitergegeben, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen und der dafür ausgewählte Älteste bereit war.
    Später, als Ardjani mit den Anthropologen einschließlich Esme Jordan arbeitete, hatte er ein Großteil seines Wissens mit ihnen geteilt, das sie in Büchern und Abhandlungen dokumentierten. Gelegentlich wurden Fotos von Ereignissen oder Orten gemacht, doch Ardjani wusste, dass die ganze Geschichte – so unermesslich, so komplex, so besonders – nie erzählt werden würde. Als er Esme begegnet war, die er »die weiße Frau, die zuhört« nannte, sagte er ihr, dass sie anders sei als die anderen Archäologen und Akademiker. Sie hatte ihm Fragen gestellt und sich große Mühe gegeben, die Antworten zu verstehen. Die anderen Leute stellten keine richtigen Fragen, und wenn er versuchte, ihnen von den Fähigkeiten der
wandjina-
Ahnen zu erzählen, hielten sie das für einen Mythos oder eine Legende. Für ein Märchen, nicht für das Gesetz. Ardjani hatte Esme erklärt, er verstehe nicht, warum diese weißen Leute immer weiter gruben und nach Antworten suchten. Für ihn war die Sache einfach. Er wusste, was sie finden würden – nichts als noch mehr alte Zeichen und Symbole. Genau wie er gesagt hatte. »Wir sind immer hier gewesen. Seit dieses Land war wie Gallert, bevor die
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es gemacht haben. Wir sind ein Spiegel dieses Landes. Es besitzt uns.«
    Über die Jahre, als er von immer mehr Leuten gefragt wurde, war Ardjani – der weise Mann – zu einer öffentlichen Persönlichkeit geworden. Ein Autor, Dozent und angesehener Führer. Er war für Dokumentationen gefilmt worden, er und sein Land auf Fotografien in Büchern abgebildet. Beth erzählte die Geschichte, wie Ardjani die
Medal of the Order of Australia
zuerkannt worden war, ein Orden, den Elisabeth II . als Königin von Australien 1975 eingeführt hatte und der der Ehrung australischer Bürger für außerordentliche Dienste dienen sollte. Dennoch wurde er nie ins Government House in Canberra eingeladen, die Residenz des Generalgouverneurs von Australien, wo diese Auszeichnung für gewöhnlich verliehen wurde. Pläne wurden gemacht, ihm den Orden später in Perth zu überreichen, dann in Derby. Doch nichts geschah. Beth hatte sich dafür eingesetzt, dass Ardjani den Orden erhielt, und schließlich hatte ihn ein Bürokrat in einen Umschlag gesteckt und ihm per Post zukommen lassen.
    Diese weißen Männer hatten die Botschaft des
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Volkes nicht verstanden, und im Laufe der Zeit hatte er begriffen, dass diese Nichteingeweihten leer waren, Menschen, die nach einer Bedeutung in ihrem Leben suchen mussten, weil sie in diesem Land keine Identität hatten. Er wusste, wenn man Teil der richtigen Welt war, Teil der Erde, dann war man glücklich. Irgendwie musste dieses Wissen weitervermittelt werden. »Wir haben eine Gabe, ein Geschenk, das wir mit den Weißen teilen können, aber sie hören uns nicht zu«, hatte er zu Esme gesagt. Und dann war er Beth begegnet und hatte auf sie gewartet. Er hatte gewartet und diese starke weiße Frau auf die Probe gestellt, sie langsam auf Aborigine-Art »angelernt«.
    Die Freundschaft, die nunmehr siebzehn Jahre bestand, war ein einzigartiges Band. Ardjani betrachtete Beth als seine erfahrene Freundin und kulturelle Vermittlerin. Sie verstand jetzt so viel von den Sitten und Gebräuchen der Barradja, dass sie ihnen die weiße Gesellschaft erklären konnte, und sie konnte umgekehrt die Weißen mit den Gepflogenheiten seines Volksstammes vertraut machen. Als sie das erste Mal nach Marrenyikka gekommen war, um die Gemeinschaft zu treffen, stellten die alten Männer fest, dass sie noch nie jemanden hatten Fragen stellen hören wie Beth. Sie hatte die Neugier eines Kindes, den Eifer eines jungen Hundes und einen Intellekt, der Antworten akzeptierte, die jenseits ihrer Denkweise lagen. Ardjani hatte ihre Fragen so weit wie möglich beantwortet, wenngleich manche Dinge geheim bleiben mussten, da sie nicht für die Ohren von Frauen gedacht waren.
    Im Laufe der Jahre hatte er Beth viele ihrer Geschichten gelehrt, so dass sie ein Verständnis dafür entwickelt hatte, wie die Aborigines die Schöpfung der Erde sahen, die sich im Land und in den Sternen spiegelte, dass es immer zwei von allem gab, ein Schöpfungswesen im Himmel und eins auf der Erde. Die Wahrnehmung der topographischen Gegebenheiten erfolgte nicht lediglich über die äußere Betrachtung, sondern mittels des Zuhörens und des Empfangens von Botschaften der Natur.

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