Im Licht der roten Erde
Susan die Arme um ihn und rückte auf dem Bett zur Seite, um Platz für ihn zu machen. Es kam ihr vor wie eine natürliche Reaktion, ein Zeichen dafür, wie wohl sie sich mit ihm fühlte. Er lag neben ihr, die Füße neben dem Bett. »Wenn ich meine Stiefel ausziehe, gehe ich nirgendwo mehr hin.« Er schnupperte an ihrem Hals und küsste ihr Ohr, dann setzte er sich auf und lächelte. »Führ mich nicht in Versuchung. Wir sollten nach unten gehen. Dad kann jede Minute eintreffen.«
Ellen reichte ein Tablett mit Getränken herum. Sie machten es sich wieder auf der Veranda bequem, als eine Geländelimousine mit einem Aborigine hinter dem Steuer eintraf. Ian Frazer sprang in Reiterstiefeln aus dem Wagen und schlug mit seinem Akubra-Hut nach dem Staub, der sich auf seinem karierten Hemd und den Jeans mit Schweiß mischte. In seiner obersten Hemdtasche steckten ein ledergebundenes Notizheft und ein Brillenetui. Das ist ja fast eine Uniform, dachte Susan, die dennoch sogleich von der stattlichen Erscheinung des Mannes eingenommen wurde. Graue Haare schauten aus seinem offenen Kragen, die Hände waren schwielig, sein Gesicht hatte über die Jahre zu viel Sonne abbekommen. Susan konnte manches von ihm in Andrew wiedererkennen, sein Zögern und seine Art zu gehen.
»Willkommen in Yandoo. Es ist jedes Mal nett, Andrews Freunde kennenzulernen.« Er legte seinen Hut auf einen Beistelltisch und küsste seine Frau, die ihm ein Bier reichte. »So, was bedeutet das riesige Outback für Sie, Susan?«, fragte Ian Frazer. »Eine neue Erfahrung, wie ich gehört habe.«
Susan wurde klar, dass ihr Besuch von Andrews Eltern offenbar bis in alle Einzelheiten besprochen worden war. Das kam für sie nicht unerwartet. Die Eltern waren natürlich daran interessiert, so viel wie möglich über eine junge Frau zu erfahren, die ihr älterer Sohn zu sich nach Hause einlud. Immerhin war das hier eine australische Dynastie, und er war ihr Erbe. Die Möglichkeit einer Eheschließung musste stets im Hinterkopf behalten werden, sobald sich erste Anzeichen ergaben. »Ja, das ist es, und eine recht außergewöhnliche dazu. Ich war ziemlich überwältigt vom Anblick der Wüste und hatte fast den Eindruck, sie würde niemals enden. Aber es ist schön, hier zu sein, in Yandoo. Es ist nicht … nun … ganz so überwältigend.«
»Es freut mich, dass Sie sich jetzt wohler fühlen«, sagte Ian. »Sind Sie nicht über Nacht in Darwin geblieben?«
»Nein. Ich hatte nicht die Zeit dazu.« Sie lachte. »Schätze, das klingt ziemlich nach Städtergeschwätz, nicht wahr? Die Zeit scheint hier draußen eine neue Dimension zu bekommen.«
»Wir hier draußen sind vermutlich mit einer anderen Einstellung zur Zeit aufgewachsen«, stimmte Ian zu. »Seit etwa hundert Jahren sind wir hier, und wir denken in anderen Zeitabschnitten als in Tagen und Wochen. Wir tragen sogar nur selten Armbanduhren.«
»Dann haben Sie wohl ein Gespür für die Zeit, ähnlich wie die Aborigines.« Es entstand eine abrupte Pause. Ian Frazers Hand, mit der er sein Bier nachfüllen wollte, blieb in der Luft hängen. »Wo haben Sie denn das her: ein Zeitgefühl wie die Aborigines?«
»Beth Van Horton, eine Frau, die mit den Aborigines arbeitet, hat mir in Sydney ein paar Dinge erzählt. Zum Teil, vermute ich, um mich zu überreden, hierherzukommen. Sie misst Zeit eine große Bedeutung zu. In Bezug auf dieses Land und die Aborigines. Schließlich ist es ihr Land gewesen, mindestens vierzigtausend Jahre lang. Das ist eine lange Zeit.«
»Wir betrachten es nicht zwangläufig als ihr Land«, sagte Ian mit Betonung auf »ihr«.
»Aber wir wissen ja wohl alle, dass die alte Vorstellung, Aborigines wären Nomaden ohne feste Bezugsorte, die das Land nicht nutzten und daher keinen Anspruch darauf hätten, völlig überholt ist«, beharrte Susan.
»Sie sprechen von den frühen Siedlertagen. Zu Zeiten meines Vaters haben wir dieses Land in Besitz genommen und Eigentumsrechte darauf erhalten. Viele Siedler haben die Schwarzen davongejagt, weil sie das Vieh getötet und Ärger auf den Siedlerhöfen gemacht haben. Es gab Tote auf beiden Seiten«, räumte er ein.
»Speere gegen Gewehre. Letzten Endes ziemlich ungleiche Chancen.«
Andrew warf Susan einen Blick zu. Er wirkte nicht glücklich über diese Gesprächsentwicklung. Sein Vater schien entschlossen, ihr seinen Standpunkt nahezubringen.
»Ich denke, meine Familie hat rücksichtsvoll gehandelt. Wir haben uns entschlossen, die Leute auf dem
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