Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
bekommen, damit er, auch wenn keiner zu Hause war, auf dem Grundstück der Stahrs blieb.
Und damit, dachte Ripley, sollte der Frieden auf Three Sisters Island für diesen Tag wiederhergestellt sein.
Auf ihrem Rückweg zum Polizeirevier beobachtete sie jedoch, wie gerade eine schmächtige Gestalt durch das Fenster im Obergeschoss eines kleinen, mit Schindeln gedeckten Hauses kletterte.
In Ordnung, entschied Ripley, der liebe Frieden verlangt heute wohl doch noch ein bisschen mehr Einsatz.
Sie zog missbilligend die Brauen hoch, dann runzelte sie
die Stirn. Es war das Haus eines ihrer Cousins, und die hellblaue Jacke, die der Einbrecher trug, kam ihr auch sehr bekannt vor.
»Dennis Andrew Ripley, was, zum Teufel, soll das darstellen?« Sie hörte sein Aufjaulen, als er sich den Kopf am Fensterrahmen stieß, doch Ripley konnte keinerlei Mitleid für ihn empfinden. Er war zwölf Jahre alt, und jeder zwölfjährige Junge, der bis dahin noch keinen harten Schädel besaß, das war zumindest ihre Auffassung, sollte dringend einen entwickeln.
Dann herrschte für einen Moment Stille, und man sah von unten nur ein Paar baumelnder Beine in ramponierten Stiefeln. Schließlich, ganz langsam, ließ er sich wieder hinuntergleiten. Er hatte hellblondes Haar, das in Büscheln unter seiner Skimütze hervorschaute. Über sein Gesicht waren großzügig Sommersprossen verteilt, die sich deutlich von der Röte der Verlegenheit auf seinen Wangen abhoben.
»Oh … hi, Tante Ripley.«
Seine Augen hatten einen treuherzigen Ausdruck, sein Lächeln war so unschuldig wie der Sonnenschein. Er war, das musste Ripley bewundernd eingestehen, wirklich raffiniert. »Für dich bin ich immer noch Deputy Todd, du kleiner Heimtücker. Warum wolltest du durch das Fenster da reinklettern?«
»Äh … ich hab keinen Schlüssel dabei.«
»Dennis.«
»Na ja, habe ich wirklich nicht«, murmelte er. »Mom ist mit ein paar Freundinnen rüber aufs Festland gefahren, um einzukaufen und so ’n Zeug. Sie muss wohl die Haustür abgeschlossen haben.«
»Okay, dann formuliere ich die Frage mal anders. Wieso wolltest du überhaupt durch das Fenster in euer eigenes Haus einbrechen, wenn du jetzt doch eigentlich die Schulbank drücken solltest?«
Sein Blick schweifte nach rechts und links, um sich dann schließlich hoffnungsvoll wieder auf Ripley zu richten. »Weil ich krank bin?«
»Ist dem so? Na, dann komm, dann fahre ich dich eben rüber ins Krankenhaus.« Ripley grinste grimmig, als sie dies sagte. »Deine Mutter hat doch wahrscheinlich ihr Handy dabei, nicht wahr? Dann rufen wir sie jetzt einfach mal kurz an, um ihr zu sagen, dass es ihrem armen kleinen Jungen furchtbar schlecht geht. Ich bin mir sicher, dass sie dann gleich mit der nächsten Fähre nach Hause kommt.«
Ripley stellte zu ihrer Genugtuung fest, wie Dennis’ Gesicht bleich vor Schreck wurde. »Ruf sie nicht an. Okay? Bitte! Ich fühle mich schon viel besser. Muss wohl irgendwas gewesen sein, was ich gegessen hab.«
»Darauf wette ich. Gib’s auf, Kleiner, und wenn du noch einmal versuchen solltest, mich zu verarschen, dann bugsiere ich dich ins Krankenhaus und sag denen, dass sie ihre längste und dickste Spritze rausholen sollen.«
»Wir schreiben heute eine Geschichtsarbeit«, platzte er schließlich heraus, und er überschlug sich nun fast beim Sprechen. »Geschichte ist totaler Krampf, Tante Rip … da geht’s doch sowieso nur um tote Leute. Und ich meine, wen interessiert denn das schon? Und es ist alles nur so ’n europäischer Geschichtskram, und wir leben doch noch nicht einmal dort. Ich meine, hey, kennst du vielleicht die Hauptstadt von Liechtenstein?«
»Du hast nicht für den Test gelernt, stimmt’s?«
Jetzt trat Dennis verlegen von einem Fuß auf den anderen. Himmel, fragte Ripley sich, wieso haben Jungs bloß immer so riesige Clownsfüße? Er versuchte es jetzt mit einem Mitleid heischenden Blick unter langen Wimpern hervor. »Na ja, vielleicht nicht so richtig.«
»Und da hast du dich entschieden, den Test einfach zu streichen und die Schule zu schwänzen.«
»Doch nur für einen blöden Tag«, grummelte er. »Ich kann den Test ja später noch nachholen. Ich wollte heute auch in den Wald gehen und lernen«, fügte er hinzu, einer plötzlichen Eingebung folgend. »Aber es ist einfach zu kalt.«
»Und darum wolltest du nach drinnen gehen … und lernen.«
Seine Augen leuchteten auf. »Ja! Ja, genau, ich wollte mich drinnen hinter die Bücher klemmen. Könntest
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