Im Licht der Sterne: Roman (German Edition)
dann müsste ich mich selbst dafür einsperren.«
»Versuch es.« Mia hielt ihr ihr Kinn hin. »Ich schwöre, dass ich dich nicht anzeige.«
»Niemand schlägt irgendwen. Nicht in meinem Haus.«
Reumütig setzte Mia ihr Glas ab und streichelte Nells Arm. Ihre Muskeln waren angespannt wie Stahl. »Es tut mir Leid, kleine Schwester. Ripley und ich reizen uns gegenseitig – eine sehr alte Gewohnheit. Aber wir dürfen dich nicht damit reinziehen. Wir dürfen sie nicht damit reinziehen«, wandte sich Mia an Ripley. »Das ist nicht fair.«
»Endlich mal etwas, wo wir einer Meinung sind. Wie wäre es damit: Wenn wir drei zusammen treffen, erklären wir uns zu einer neutralen Zone, als eine Art römischer Korridor: keine Kriegshandlungen.«
»Neutraler römischer Korridor.« Mia musste lachen. »Dein Geschichtsbewusstsein war immer schon bewundernswert. Einverstanden.« Sie nahm das zweite Glas und schob es Ripley zu. »Siehst du, Nell, du hast jetzt schon einen guten Einfluss auf uns.« Sie reichte Nell das dritte Glas. »Auf positive Einflüsse.«
In einem lockeren Kreis stehend erhoben sie ihre Gläser
und stießen miteinander an. Sie erklangen glockenrein, und aus den billigen Second-Hand-Gläsern schoss eine helle Lichtfontäne in die Luft.
Mia lächelte leicht, als Nell ein überraschtes Glucksen von sich gab.
»Verdammt«, brummte Ripley und stürzte hastig ihre Limonade hinunter. »Ich hasse das.«
Die Insel füllte sich mit Besuchern, die den 4. Juli feiern wollten. Rot-weiß-blaue Fahnen wurden von den Relings der Fähren geschwenkt, die ständig zwischen dem Festland und der Insel verkehrten. Fahnen und Girlanden schmückten die Läden auf der High Street und winkten sowohl fröhlich den Touristen als auch den Insulanern zu, die die Straßen und Strände bevölkerten.
Für Nell war es alles andere als ein Ferientag, aber das Ausliefern ihrer Bestellungen tat ihrer Festtagslaune keinen Abbruch. Sie hatte nicht nur einen Job, den sie liebte, sondern auch ein Geschäft, auf das sie stolz sein konnte.
Unabhängigkeitstag, dachte sie, das passt genau für mich.
Zum ersten Mal seit neun Monaten begann sie, Zukunftspläne zu schmieden, und die schlossen Bankkonten, Paketdienste und persönliche Besitztümer mit ein, die nicht von einem Moment auf den anderen in eine Tasche und einen Rucksack verstaut werden konnten.
Ein normales, funktionierendes Leben, dachte sie, als sie vor dem Schaufenster des Strandmodeladens stehen blieb. Die Schaufensterpuppe trug eine leichte Sommerhose, blauweiß-gestreift, und ein tief ausgeschnittenes hauchdünnes weißes Top. Weiße Riemchensandalen, die ebenso schick wie unpraktisch waren, gaben ihr den letzten Kick.
Nell biss sich auf die Lippen. Ihr Verdienst brannte ihr ein Loch in die Taschen ihrer alten Jeans. Das war schon von klein auf ihr Problem, versuchte sie sich zur Ordnung zu rufen.
Wenn sie zehn Dollar hatte, fand sie garantiert immer eine Möglichkeit, neun davon auszugeben.
Sie musste lernen zu sparen und zu widerstehen. Ihr Geld zu strecken.
Aber sie hatte sich so lange nichts Neues gekauft, nichts Hübsches. Und Mia hatte sie deutlich aufgefordert, sich ein bisschen mehr zurechtzumachen während der Arbeit.
Außerdem müsste sie auch in ihrem Catering-Service anständig aussehen. Wenn sie jetzt eine Geschäftsfrau war, hatte sie sich entsprechend zu kleiden. Auf der Insel war damit zwanglose Kleidung gemeint, aber zwanglos konnte auch attraktiv sein. Andererseits wäre es nützlicher und klüger, das Geld in Küchengeräte zu investieren. Sie brauchte eine Küchenmaschine dringender als Sandalen.
»Hörst du auf den guten oder den schlechten Engel?«
»Mia.« Aufgescheucht aus ihren Tagträumen, lachte Nell verlegen. »Du hast mich erwischt.«
»Tolle Sandalen. Auch noch im Angebot.«
»Tatsächlich?«
Mia tippte auf das Wort ›Ausverkauf‹ auf der Schaufensterscheibe. »Mein Lieblingswort. Ich kann Gelegenheiten förmlich riechen, Nell. Lass uns einkaufen gehen.«
»Oh, aber ich sollte wirklich nicht. Ich brauche nichts.«
»Du brauchst eine ganze Menge.« Mia warf ihr Haar zurück, ergriff ernergisch Nells Ellbogen – ungefähr wie eine Mutter bei ihrem widerstrebenden Kind. »Ein Schuhkauf hat nicht das Geringste mit Bedarf zu tun, aber alles mit Lust. Weißt du, wie viel Paar Schuhe ich besitze?«
»Nein.«
»Ich auch nicht«, sagte sie und schob Nell in den Laden. »Das ist ja toll, sie haben diese Hosen auch in Pink. Sie werden dir
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