Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
schnauben und höhnisch bemerken, dass die alte Frau sicher ein Dutzend mehr dieser
Anhänger in ihrem Lager aufbewahrte, um sie leichtgläubigen Touristen anzudrehen. Und vermutlich hatte Margaret sogar, wie immer, Recht. Aber das spielte keine Rolle.
Sie hatte den Anhänger und als Dreingabe noch eine originelle Geschichte. Das war die zehn Pfund allemal wert.
Fröstelnd blickte sie zum Himmel empor. Die Sonne war hinter einer tief hängenden, dicken grauen Wolkendecke verborgen. Margaret würde verärgert sein, weil das Wetter nicht zu den heutigen Plänen passte. Die Überfahrt mit der Fähre zur Insel war bis ins kleinste Detail arrangiert worden.
Auf der Überfahrt würden Tee und Gebäck gereicht werden, während Margaret ihrer Zwanzig-Personen-Gruppe einen Vortrag über Geschichte und Sehenswürdigkeiten der Insel halten würde. Allena hatte die Aufgabe gehabt, Margarets Notizen zu tippen und die Handzettel zu drucken.
Der erste Halt würde das Touristeninformationszentrum sein. Von dort aus würden sie eine Tour zu einem verfallenen Kloster und Friedhof machen, worauf sich Allena schon freute. Danach eine Stunde Mittagessen, in Form von einem Picknick, das vom Hotel vorbereitet und in Körbe gepackt worden war.
Anschließend standen die Bienenstock-Cottages auf dem Programm, und Margaret würde einen Vortrag über deren Geschichte und Zweck halten. Danach würde die Gruppe angewiesen werden, eine Stunde auf eigene Faust herumzuwandern, ins Dorf, in die Läden, an den Strand, ehe sie sich um exakt sechzehn Uhr dreißig wieder versammelten, um in der restaurierten Burg ein frühes Abendessen einzunehmen,
selbstverständlich begleitet von einem weiteren belehrenden Vortrag.
Allenas Job bestand darin, Margarets Unterlagen zu ordnen, ihr zu helfen, die Gruppe zusammenzuhalten, auf Wertsachen zu achten, Pakete zu schleppen, falls dies erforderlich sein sollte, und sich allgemein nützlich zu machen.
Dafür würde sie, zumindest in Margarets Augen, ein anständiges Gehalt bekommen. Weit wichtiger war nämlich, laut Margaret, dass sie eine Ausbildung und Sachkenntnis erhielte, durch die sie, wie ihre Familie hoffte, Verantwortungsbewusstsein und innere Reife erlangen würde.
Es war sinnlos zu erklären, dass sie weder Verantwortungsbewusstsein noch Reife erlangen wollte, wenn sie dadurch zu einer zweiten Margaret werden würde. Schon jetzt, nach vier Tagen auf ihrer ersten Tour, begehrte etwas in ihr auf und schrie ihr zu, schleunigst die Flucht zu ergreifen.
Pflichtbewusst unterdrückte sie die Rebellion, blickte auf die Uhr. Und war wie vom Donner gerührt.
Das konnte nicht sein. Unmöglich. Sie war doch nur ein paar Minuten in dem Laden gewesen. Unvorstellbar, dass sie eine ganze Stunde dort verbracht haben sollte. Sie konnte doch nicht – o Gott, sie konnte unmöglich die Fähre verpasst haben!
Margaret würde sie umbringen.
Den Schulterriemen ihrer Tasche umklammernd, begann sie zu rennen.
Sie hatte lange Beine, die Beine einer Tänzerin, und war von schlanker Statur. Die klobigen Wanderschuhe, die Margaret ihr zu kaufen befohlen hatte, knallten auf ihrem
Galopp zum Fährhafen wie Trommelfeuer auf dem Pflaster, und die schwere Tasche schlug gegen ihre Hüfte. In der Tasche befanden sich alle nötigen Unterlagen für den heutigen Ausflug und noch etliches mehr.
Der Wind fegte vom Meer landeinwärts und zauste durch ihr kurzes blondes Haar, sodass es in panischen Stacheln von ihrem markanten Gesicht abstand. Die Panik war auch in ihren Augen, die grau wie die Wolken waren. Und verwandelte sich in einen Ausdruck von Verzweiflung und Selbstverachtung, als sie den Hafen erreichte und mitansehen musste, wie die Fähre davontuckerte.
»Verdammt!« Sie raufte sich das Haar. »Das war’s. Schluss, aus und vorbei. Genauso gut könnte ich jetzt ins Wasser springen und mich ertränken.« Was wahrscheinlich angenehmer wäre als die eisige Abfuhr, die ihr Margaret erteilen würde.
Sie würde rausfliegen, kein Zweifel. An dieses kleine Nebenprodukt ihres Berufslebens war sie gewöhnt. Nur würde diesmal die Methode der Kündigung reine Folter sein.
Es sei denn … Es musste doch irgendeine andere Möglichkeit geben, zur Insel zu gelangen. Dann könnte sie sich Margaret vor die Füße werfen, sie um Gnade anwinseln, wie ein Sklave schuften, auf ihr Gehalt verzichten. Eine Ausrede erfinden. Ja, irgendein Grund würde ihr schon einfallen, weshalb sie die Fähre verpasst hatte.
Verzweifelt sah sie sich um.
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