Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
ziehen.
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Durchnässt
und euphorisch kletterte sie auf den nassen Sandstrand. »Sie werden doch warten, bis das Gewitter vorbei ist, nicht wahr?«, fragte sie, während sie nach ihrer Geldbörse griff.
»Ich werde warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Sie werden Ihren Weg finden, Lady. Durch den Regen. Der Pfad verläuft hier.«
»Danke.« Sie reichte ihm den Geldschein. Sie würde zum Touristeninformationszentrum gehen, sich dort unterstellen und ihrem Strafgericht entgegensehen. »Kommen Sie doch mit. Ich lade Sie auf einen Tee ein. Dann können Sie sich trocknen lassen.«
»Ach, ich bin an die Nässe gewöhnt. Und Sie werden erwartet.« Er kletterte wieder ins Boot zurück.
»Ja, sicher.« Sie rannte los, machte nach wenigen Metern aber wieder kehrt. Sie hatte ihn gar nicht nach seinem Namen gefragt. »Entschuldigen Sie, aber …« Der Strand war leer, nur die Brandung donnerte ans Ufer.
Aus Angst, er könnte in dieses Unwetter hinausgefahren sein, rief sie nach ihm und rannte am Ufer entlang, um nach ihm Ausschau zu halten. Ein greller Blitz zuckte auf, drohend und unheilvoll, und der Sturm schlug ihr wie eine wütende Faust ins Gesicht.
Gegen den Wind gestemmt, erklomm sie die Anhöhe zu einem Pfad. Sie musste Zuflucht suchen, jemandem von dem Jungen erzählen. Warum hatte sie nicht darauf bestanden, dass er sie begleitete und wartete, bis das Wetter wieder aufklarte?
Sie stolperte, fiel der Länge nach hin und schnappte keuchend nach Luft, während die Welt um sie herum plötzlich
in Raserei verfiel. Ein Inferno aus heulendem Wind, flackernden Blitzen, dröhnendem Donner. Mühsam rappelte sie sich hoch und kämpfte sich weiter.
Seltsamerweise hatte sie keine Angst. Eigentlich sollte sie vor Angst schlottern. Warum war sie stattdessen so heiter? Woher kam diese eigentümliche Vorahnung, diese Gewissheit?
Sie musste weiter. Irgendetwas, irgendjemand wartete auf sie. Wenn sie nur endlich weiterkäme.
Der Weg war steil, der Regen raubte ihr die Sicht. Irgendwo unterwegs hatte sie ihre Tasche verloren, aber nicht darauf geachtet.
Beim nächsten Blitz sah sie ihn. Den Kreis aus Steinen, die auf dem rauen Untergrund wie verwunschene Tänzer emporragten. In ihrem Kopf, vielleicht auch in ihrem Herzen, vernahm sie das Lied, das in den Kreis gebannt war.
Von ungeheurer Freude erfüllt, rannte sie los, die Hand um ihren Anhänger gelegt.
Das Lied schwoll zu einem Crescendo an, übergoss sie wie eine Welle, durchflutete sie.
Und als sie den Kreis erreicht hatte und ihren ersten Schritt ins Innere machte, schlug ein Blitz in der Mitte ein, der Strahl so klar und deutlich umrissen wie ein flammender Pfeil. Sie beobachtete, wie sich das blaue Feuer zu einem Turm emporschraubte, höher und höher, bis er die tief hängenden Wolken zu durchbohren schien. Sie spürte die gefrierende Hitze auf ihrer Haut, in ihrem Inneren. Spürte die Kraft, die auf ihr Herz einhämmerte.
Dann wurde sie ohnmächtig.
Zwei
Das Gewitter machte ihn unruhig. Es schien auch in ihm zu sein, brodelnd, tobend und nur darauf wartend, endlich hervorzubrechen. Er konnte sich auf nichts konzentrieren. Hatte kein Verlangen danach zu lesen, herumzustöbern oder sich einfach nur zu entspannen. Weswegen er auf die Insel zurückgekehrt war.
Zumindest hatte er sich das eingeredet.
Seit Generationen war dieses Land im Besitz seiner Familie, war von ihr bewirtschaftet und erhalten worden. Schon seit Menschengedenken – so kam es ihm vor – hatten die O’Neils von Dolman hier ihre Samen ausgesät und ihr Blut und das Blut ihrer Feinde vergossen. Ihre Anfänge reichten sogar bis in jene graue Vorzeit zurück, die man nur aus Liedern kannte.
Als Conal die Insel verlassen hatte, um in Dublin zu studieren und zu arbeiten, hatte er damit gegen einen Lebensweg rebelliert, der ihm in den Augen der anderen ganz selbstverständlich als Schicksal vorherbestimmt war. Wie er seinem Vater erklärt hatte, war er aber nicht willens, eine passive Spielfigur im Schachspiel seines eigenen Schicksals zu sein.
Er würde sein Schicksal selbst gestalten.
Und dennoch war er jetzt hier, in dem Cottage, wo die O’Neils gelebt hatten und gestorben waren, wo sein eigener
Vater vor wenigen Monaten sein Leben ausgehaucht hatte. Und so sehr er sich auch einreden mochte, er sei aus eigener freier Entscheidung hierher gekommen, so war er sich dessen an einem Tag wie heute nicht mehr so sicher, wenn der Wind
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