Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
Beifahrersitz. Falls ein paar von den Lords auf der Straße abhingen, wollte er nicht sofort als Feind erkannt werden. Nicht, bis er so weit war.
Er war undercover hier, scheiß drauf.
Seinen Platz in der Gang hatte er sich mit Schlägereien hart erkämpfen müssen. Obwohl sein Bruder ein hohes Tier war, musste er sich erst mal beweisen. Im Kampf wurde er zum Dämon und ließ Fäuste und Füße sprechen. Er gab niemals auf.
Er wusste, wie man Autos knackte, und war ein verlässlicher Drogenkurier, da er den Scheiß nicht selbst konsumierte. Aber Waffen und Messer hatte er bisher noch nie eingesetzt. T-Bone fand, er könne kein bisschen schießen, was auch ein Grund war, warum man ihn gestern Abend zu Hause gelassen hatte.
Aber unter der Baseballkappe auf dem Beifahrersitz lag eine.45er Halbautomatik, deren erste Munitionsladung bereits abgefeuert worden war. Und im Moment hatte Razz kein bisschen Schiss.
Er würde diese Kugeln demjenigen, der seinen Bruder auf dem Gewissen hatte, direkt zwischen die Augen jagen. Und wer es wagte, ihn aufzuhalten, würde ebenfalls eine Kugel abbekommen.
Er würde da reingehen, am helllichten Tag, und die Farben seiner Gang tragen. Und wenn er da nicht wieder lebend rauskäme, dann war das eben so.
Er war sechzehn.
Er hielt gegenüber dem Spirituosenladen. Er wusste, dass Clip das Hinterzimmer als »Büro« benutzte. Dort hing er ab, machte seine Deals, redete Müll und ließ sich den Schwanz von irgendwelchen Schlampen lutschen, die sich in die Gang ficken wollten.
Er würde den Hintereingang nehmen, jawohl, und die Wachen niedermähen, falls welche da waren. Und dann rein durch die Tür, um dem Arschloch eine Kugel ins Hirn zu jagen.
T-Bone würde stolz auf ihn sein. T-Bone würde wieder neuen Lebensmut bekommen, wenn er hörte, dass man ihn gerächt hatte.
Er setzte seine Baseballkappe auf und schob den Schirm stolz nach rechts. Unter seinem langen blauen Trikot steckte er die.45er in seinen Hosenbund. Sie war schwer wie eine Kanone.
Er war so weit. Er war verdammt noch mal so weit, es ihnen zu zeigen und jemanden umzulegen.
Vielleicht sah man ihm das sogar an, hoffentlich. Sein Mund war zu einem schiefen Grinsen verzogen. Als eine Gruppe von Frauen, die auf der Stufe gesessen hatten, ihn entdeckten und nun nach drinnen eilten, gab ihm das ein unglaubliches Gefühl von Macht. Genau, ihr Schlampen, verkriecht euch besser.
Während er die Allee das kurze Stück zum Spirituosenladen entlangschlenderte, zog er die Waffe aus dem Hosenbund. Und redete sich ein, dass seine Hand vor lauter Erregung zitterte und nicht vor Angst. Er beschwor T-Bones Gesicht herauf, so, wie es im Krankenhaus ausgesehen hatte.
Er war so gut wie tot, auch wenn die Maschine noch für ihn atmete. Und ihre Mutter saß mit der Bibel an seinem Bett und weinte. Sie redete kein Wort, rührte sich nicht, sondern saß einfach nur da, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
Diese Bilder ließen ihn um die Ecke biegen und führten dazu, dass sich ein Schrei aus seiner Kehle löste, während sein Finger am Abzug zitterte.
Aber die Hintertür war unbewacht.
Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er konnte nichts anderes mehr hören, als er den von der Hitze weichen Asphalt mit dem sich verzweifelt darin festkrallenden Unkraut überquerte. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Oberlippe, wo sich Schweißperlen gesammelt hatten. Ich tue es für T-Bone, dachte er und trat die Tür ein.
Die Waffe ging los, als sei sie in seiner Hand lebendig.
Er spürte nicht, wie sein Finger den Abzug betätigte. Sie schien wie von selbst zu explodieren, und die Kugel schlug ein Loch in die Wand, etwa dreißig Zentimeter über dem verkratzten Ladentisch. Niemand stand dahinter.
Sein Arm zitterte, als er die Waffe sinken ließ und in den leeren Raum, das leere Zimmer starrte. Jetzt stand er da wie ein Opfer. Er hatte sich lächerlich gemacht, womit T-Bone ebenfalls ein Opfer wäre, und das durfte er nicht zulassen.
Er musste etwas tun. Etwas Großes.
Als die Innentür aufging und der Mann herauskam, wusste er, was er tun musste.
»Der Name des Geiselnehmers ist Charles Johnson, genannt Razz.« Detective Ricks von der Gang-Unit gab Phoebe die notwendigen Informationen. »Es wurde geschossen, aber bisher gibt es anscheinend noch keine Verletzten. Er hat vier Leute da drin.«
»Was will er?«
»Er will Blut sehen. Es gab gestern Abend eine Schießerei – zwischen der Westside-Gang, zu der auch der
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