Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
Bruder.«
»Das ist hart.« Er legte seine Hand auf die ihre. »Wahnsinnig hart. Wie alt warst du damals?«
»Vier, beinahe fünf. Ich kann mich noch ein bisschen an ihn erinnern. Aber noch besser erinnere ich mich daran, dass damals irgendwas in Mama kaputtging, das lang nicht mehr heilte und nie mehr ganz verheilen sollte. Da ich eine geschulte Beobachterin mit Psychologiestudium bin, weiß ich, dass sein Tod die Agoraphobie sicherlich mit ausgelöst hat. Aber sie musste raus und arbeiten gehen, um uns durchzubringen. Sie hatte keine andere Wahl. Trotzdem lebte sie jahrelang vollkommen zurückgezogen.«
»Sie hatte eine Wahl«, widersprach ihr Duncan. »Aber sie hat sich dafür entschieden, zu tun, was getan werden musste, um ihre Familie zu versorgen.«
»Ja, da hast du auch wieder recht. Und sie hat uns versorgt. Dann hat sie diesen Mann kennengelernt, Reuben.
Er kam vorbei und machte Reparaturen für sie, Kleinigkeiten im Haushalt. Obwohl ich erst zwölf war, merkte ich sofort, dass da was zwischen ihnen lief. Es war komisch, aber mein Vater war schließlich schon lange tot, und es war lustig mitanzusehen, wie sie plötzlich errötete und albern und übermütig wurde.«
»Du wolltest, dass sie glücklich ist.«
»O ja. Er war nett zu uns. Am Anfang war Reuben unglaublich nett zu uns. Er spielte mit Carter Fangen im Garten, brachte uns Süßigkeiten mit, lud Mama ins Kino ein und solche Sachen.«
»Aber deinem Tonfall nach zu urteilen, dauerte das nicht lange«, sagte Duncan, als sie ihn ansah.
»Nein, das dauerte nicht lange. Sie haben zusammen geschlafen. Keine Ahnung, woher ich das wusste. Aber sie schaffte es, sich nach all den Jahren so weit zu öffnen, dass es dazu kam.«
»Und danach wurde alles anders?«
»Ja. Er wurde besitzergreifend, rechthaberisch. Er quälte uns, jeden von uns, tat aber so, als sei das alles nur ein Spiel. Vor allem auf Carter hatte er es abgesehen. Der Junge weiß ja nicht mal, was ein Hintern ist, haha. Wer seine Nase ständig in Bücher steckt, wird nie ein richtiger Mann und so weiter. Er fing an, jeden Abend zu uns zu kommen, und erwartete, dass Mama ihn mit einem warmen Abendessen empfing. Dann scheuchte er uns weg, damit er sie begrapschen konnte. Und wenn sie nicht wollte, wurde er wütend. Er begann, zu viel zu trinken. Ich glaube, er hat schon immer getrunken, aber jetzt trank er noch mehr als vorher. Aber das ist wirklich kein besonders schönes Gesprächsthema für so ein Abendessen.«
»Ich möchte es trotzdem hören. Mein Vater hat mehr getrunken, als gut für ihn war – ich weiß also, wie so was ist. Erzähl weiter.«
»Na gut. Eines Tages schaute er vorbei, als Mama noch arbeiten war. Ich war mit Carter allein zu Hause. Er hatte getrunken und machte sich noch ein Bier auf, und anschließend noch eines, das er Carter aufdrängte. Er sagte ihm, es sei an der Zeit, dass er lerne, zu trinken wie ein Mann. Carter wollte das Bier nicht. Er war gerade mal sieben. Carter sagte, er solle abhauen und ihn in Ruhe lassen. Da hat ihm Reuben mitten ins Gesicht geschlagen, einfach so. In dem Moment bin ich ausgeflippt, das kannst du mir glauben.«
Die alte Wut stieg wieder in ihr hoch. »Ich hab gesagt, er soll zusehen, dass er verschwindet, und dass er die Finger von meinem Bruder lassen soll. Na ja, daraufhin hat er mir auch eine geknallt. In dem Moment kam Mama. Ich weiß nur, dass ich sie bis dahin immer geliebt habe, Duncan. Sie hat so hart gearbeitet, sie hat getan, was sie konnte. Aber dass sie Rückgrat hat, habe ich ihr nie zugetraut. Nicht, bis sie reinkam und sah, wie ich und Carter auf dem Boden liegen und dieses Arschloch seinen Gürtel aus der Hose zieht.«
Sie schwieg und nippte an ihrem Wein. »Er hatte vor, uns damit zu verprügeln, er wollte uns eine Lektion erteilen. Mama ist auf ihn losgegangen wie eine Furie. Aber er war natürlich zweimal so groß wie sie und außerdem betrunken. Er hat sie quer durchs Zimmer geprügelt. Sie hat ihn angeschrien, er solle abhauen und ihre Kinder in Ruhe lassen. Ich hab Carter gesagt, dass er zu den Nachbarn laufen und die Polizei rufen soll. Als ich mir sicher war, dass er weit genug weg ist, begann auch ich zu schreien und sagte, die Polizei sei schon unterwegs. Reuben hat mich und Mama mit mir bis dahin unbekannten Schimpfwörtern belegt, aber er verschwand.«
»Du hast einen kühlen Kopf behalten.«
Jetzt nahm er ihre Hand, die auf dem Tisch lag, und drückte sie fest. »Du hast sehr klug reagiert.«
»Ich
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