Im Licht von Apfelbäumen | Roman
bei ihr auf der Veranda sitzen und aß mit ihr zu Abend, und da es danach zu spät war, um noch nach Hause zu fahren, übernachtete er in dem Zimmer, wo die Kräuter von den Dachsparren hingen.
Caroline Middeys Haus, klein und kompakt, lag ganz am Rand des Ortes, vor der Kulisse der in der Ferne aufragenden Berge. Sehr ruhig war es hier; vor dem Haus ein großes Feld und jenseits des Stücks Schotterstraße der Fluss. Ihre Veranda bot gerade genug Platz für zwei Korbstühle und einen niedrigen Tisch dazwischen. Drinnen ein Wohnraum mit hohem Fenster und nach hinten hinaus die Küche. Es gab zwei Schlafzimmer, ein ganz kleines, das ihres war, und jenes andere, rechtwinklige, das von einem großen Fenster beherrscht wurde. Hier hingen getrocknete Kräuter von der Decke; es war der Raum, in dem sie die Hinfälligen und Kranken unterbrachte oder eben Gäste. Es wurde oft gelüftet und hatte so gut wie keine persönliche Note. Fast immer stand das Fenster offen, und das Bett war, wenn es nicht gerade benutzt wurde, abgezogen. In der Küche war es eng wie in einer Kombüse, Töpfe und Pfannen hingen an in die Wand geschlagenen Nägeln, die klemmenden Schubladen klapperten vom bunt zusammengewürfelten Besteck. Sie konnte lediglich bei bestimmten, wenigen Dingen nach Vollkommenheit streben; darüber hinaus zählte nur, Ordnung zu halten. Und das tat sie. Von der Küche trat man in einen schmalen Flur, über den man in den Garten hinter dem Haus gelangte. Dieser Garten war größer als das Haus selbst und voller Gemüse, Kräuter und Blumen. Hier verbrachte sie die meiste Zeit, mit ihrem großen Strohhut auf dem Kopf, Handschuhen an den Händen und einer weiten grauen Schürze, deren Bänder sie doppelt um ihre üppige Taille band.
Nach seinem ersten Besuch als junger Mann machte er auf dem Weg nach Hause häufig bei ihr Station und brachte ihr Obst. Sie aßen dann zusammen, je nach Jahreszeit, auf der Veranda oder drinnen. Wenn er so lange blieb, dass er nicht mehr rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit auf seiner Plantage angekommen wäre, schlief er in dem Zimmer mit den trocknenden Kräutern. Am Morgen stand Kaffee für ihn bereit. Sie arbeitete dann schon draußen im Garten, und er fuhr ab, ohne sich von ihr zu verabschieden. Eine Zeit lang dachten die Leute, sie bandelten miteinander an, doch das war nie der Fall. Talmadge war in einer Trauer gefangen, die er sich nur zum Teil selbst eingestand. Es war nicht die Trauer um den Tod seiner Mutter, von der er irgendwann, mehr oder weniger, geheilt war; die schwärende Wunde war Elsbeths Verschwinden, das sein Verstand einfach nicht akzeptierte, das er nicht schlucken konnte. Und so litt er, auf eine entrückte Art, unaufhörlich und würde es, wenn man Caroline Middey fragte, nie verwinden. Abgesehen davon fühlte Caroline Middey sich, romantisch gesprochen, zu alt für Talmadge und war sexuell kein bisschen an ihm interessiert. Als er sich mit zweiundzwanzig Jahren bei einer Prostituierten auf einem Jahrmarkt in Malaga eine Geschlechtskrankheit holte, verschrieb Caroline Middey ihm eine Arznei und empfahl ihm ansonsten eine Frau im Ort, die er aufsuchen könne, falls ihm an weiteren Begegnungen dieser Art gelegen sei. Sie sprach ganz sachlich darüber, und das war es, was ihre Freundschaft letztlich rettete. Er hatte schon gedacht, er könne nie wieder zu ihr gehen, nachdem sie gesehen hatte, was mit ihm los war. Ja, wenn er nicht um sein Leben gefürchtet hätte, wäre er überhaupt nicht zu ihr gegangen.
Aber das war lange her. Im Lauf der Jahre war er ein paar Mal bei der Prostituierten gewesen, die sie ihm empfohlen hatte. Dann zog diese Prostituierte weg, und er traf sich eine Zeit lang mit einer anderen Frau, doch auch das lag inzwischen viele Jahre zurück. Seit jenem ersten Gespräch redeten er und Caroline Middey nicht mehr über solche Dinge. Er wusste nicht viel über ihr Privatleben, außer dass sie einmal einen Lehrling gehabt hatte, ein junges Mädchen vom Stamm der Cayusen, das im Alter von siebzehn Jahren an Scharlach gestorben war. Soweit Talmadge wusste, war dieses Mädchen der einzige Mensch, mit dem Caroline Middey je zusammengelebt hatte, von dem alten Kräuterheilkundler in ihren jüngeren Jahren einmal abgesehen. Auf einem Regal über dem Küchentisch stand eine Ambrotypie des Mädchens, mit Blumen umkränzt. Ein wunderhübsches Geschöpf mit geflochtenen Zöpfen und einem raffinierten perlenbestickten Hemd. Talmadge hatte Caroline Middey
Weitere Kostenlose Bücher