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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Ausdruckslosigkeit. Die Hose ging ja noch, die würde sie vielleicht tragen, dachte er; aber das Hemd war lächerlich. Es war ein Kleidungsstück, wie sie es früher gelegentlich angezogen hätte, zum Abendessen, nachdem sie sich im Bach das Gesicht gewaschen und sich die Haare gebürstet und auf die Schultern hatte fallen lassen. Das war das andere: Ihre Haare waren ganz kurz geschnitten, lagen dicht an ihrem Schädel an. Das ließ ihre Augen umso größer wirken, eulenartig.
    Dies ist von Angelene, sagte er, griff in seine Jackentasche und holte die Schachtel heraus. Nach einer Weile kam Della ans Gitter und nahm sie ihm ab. Sie machte sie nicht auf, sondern stand nur so damit da.
    Er blickte in eine Ecke ihrer Zelle.
    Wenn du irgendetwas brauchst, musst du es dem Amtsrichter sagen. Du sagst es ihm, und ich …
    Ich brauch nichts von dir.
    Er sah sie an.
    Sie ging zum Bett, setzte sich wieder so hin wie am Anfang und sah starr geradeaus. Die Geschenke waren um sie herum verstreut, Packpapier lag auf dem Boden.
    Der Blick, den sie auf ihn richtete, bevor er ging – schwerfällig, ausdruckslos, kurz –, würde ihm lange in Erinnerung bleiben. Und auch jener Satz –
Ich brauch nichts von dir
 –, das Einzige, was sie zu ihm gesagt hatte, mit ihrer verhaltenen Stimme, in der keinerlei Empfindung lag, nicht einmal Feindseligkeit. Er spielte ihn immer wieder im Kopf ab und überprüfte ihn auf irgendein Gefühl, aber er fand keins –
Ich brauch nichts von dir;
das war sie nicht, dachte er, und doch war sie es, er hatte sie besucht, diesen Satz hatte sie zu ihm gesagt, und über all das dachte er nach, als er den Gang entlangging, an dem Wärter vorbei und nach draußen, zur Pension, und als er schlief und nicht schlafen konnte – sie wandte ihm langsam ihr Gesicht zu, jetzt voller Hass – und auch am nächsten Tag im Zug.
Ich brauch nichts von dir.
Doch, wollte er ihr sagen, doch, du brauchst etwas von mir. Aber er wusste nicht, was. Genau wie sie wusste er nicht, was.

    Della erinnerte sich an den Tag, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, jenen Tag in der Stadt, als sie und Jane am Straßenrand gestanden und darauf gewartet hatten, dass er einschlief, damit sie ihm Früchte stehlen konnten. Sie hatte, bei allem Hunger, erstaunt wahrgenommen, wie langsam er sich bewegte, wie allein er wirkte. Oder vielleicht kam ihr dieser Gedanke auch erst später. Obwohl er ziemlich kräftig und groß war, flößte er ihnen nicht die geringste Angst ein. Am Anfang, als sie alle zusammen waren, hielt Jane sich dennoch von ihm fern, und Della wusste, dass sie es genauso machen sollte, doch da waren die Wochen auf der Obstplantage, als sie ihm überallhin gefolgt und er immer freundlich zu ihr gewesen war. Seine Freundlichkeit war noch da – daran hatte sich nichts geändert –, als er eine Hand durch das Gitter streckte und mit der anderen den Sack festhielt.
    Er sprach mit ihr, aber sie hatte nicht hingehört. Er umfasste einen der Gitterstäbe. Sie starrte auf seine Knöchel. Als sie einen heimlichen Blick auf sein Gesicht warf – die Welt seines Gesichtes –, merkte sie, dass er ihr zutiefst vertraut war.
    Was hatte sie zu ihm gesagt?
Ich brauch nichts von dir.
Aber das war nicht wichtig. Was man sagte, war nicht wichtig.
    Als er fort war, ging sie ans Fenster und sah hinaus, aber sie konnte ihn nicht sehen.

    Im Zug nach Cashmere schlief er kaum. Die Bewegung und die ständige Veränderung der Landschaft hinter dem Fenster zehrten an ihm und hielten ihn wach. Der Gedanke, dass er in Chelan in den Zug steigen und noch am selben Tag in Cashmere aussteigen konnte, erschreckte ihn; es wollte ihm nicht in den Kopf, war der Grund für die Verwirrung, die immer wieder in ihm heraufstieg. Und ein ums andere Mal musste er sich sagen, dass es tatsächlich möglich war, dass er in einer Zeit lebte, in der es so etwas gab – und war das nicht großartig? Sein Körper verstand es nicht; auch als er damals mit Angelene ans Meer gefahren war, hatte es ihn aufgewühlt. Sein Magen verkrampfte sich, er war unkonzentriert, neigte immer wieder den Kopf zum Fenster, um sich zu vergewissern, dass es stimmte: Er war in Chelan gewesen, war von dort abgefahren und käme bald in Cashmere an. Noch am selben Morgen war er in einer Pension in jener Stadt gewesen, wo er Della getroffen hatte. Es schien unmöglich, dass er diese beiden Orte – Chelan, wo sie eingesperrt war, und die Plantage, wo sie nicht war – fast gleichzeitig

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