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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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hätte nicht sagen können, wie alt der Mann sein mochte. Als er hinter dem Fliegengitter aufgetaucht war, hatte er ihn auf vierzig, höchstens fünfzig geschätzt – ein muskulöser, fester, aber geschmeidiger Körper und ein breites und zugleich schlankes, müdes Gesicht. Doch während er rauchte, schien er älter zu werden: War er so alt wie Talmadge selbst? Älter? Es ärgerte ihn, dass er es nicht sagen konnte. Der Mann war wie ein Chamäleon.
    Sind Sie auf der Jagd?, fragte Michaelson ausdruckslos.
    Talmadge zögerte. Ja. Er räusperte sich. Ich war erst südlich von hier, aber dann dachte ich mir, mal sehen, was es im Norden so gibt. Soll ein gutes Jagdrevier sein, hab ich gehört …
    Während Talmadge sprach, war Michaelsons Blick gelangweilt in eine Ecke des Zimmers gewandert. Als Talmadge verstummte, wandte Michaelson ihm den Kopf zu, ohne ihm in die Augen zu sehen. Hob die Brauen. Die Mädchen schlafen, sagte er. Sie müssen warten. Es sei denn, sagte er, Sie wollen, dass ich eine wecke. Sein Blick wanderte in die andere Ecke des Zimmers. Sie verstehen, sagte er.
    Talmadge verstand, dass er auf Geld anspielte. Inzwischen verstand er eine ganze Menge. Er horchte auf die Geräusche im Haus, denn mittlerweile war ihm klar, dass es voller Mädchen war. Er dachte an die beiden auf der Plantage und sah auf. Michaelson beobachtete ihn jetzt scharf, mit gerunzelter Stirn. Talmadge wusste nicht, ob er selbst es war, den Michaelson missbilligte – seine Person, sein Gesicht –, oder ob er an etwas anderes dachte und den Blick nur auf seiner Brust ruhen ließ. Ein leises Pfeifen war zu hören, als Michaelson an seiner Zigarre zog.
    Wo kommen Sie her?
    Er musste jetzt sehr vorsichtig sein, dachte Talmadge. Er blickte aus dem Fenster.
    Oregon.
    Michaelson rauchte und sah ihm weiter auf die Brust. Sein Stirnrunzeln verstärkte sich ein wenig.
    Weit weg von zu Hause. Sind Sie Bergbauinspekteur? Er rauchte. Oder Kopfgeldjäger? Hat man Sie meinetwegen hergeschickt? Wollen Sie mich erschießen?
    Ein Schweigen entstand, als Talmadge verwirrt überlegte, was er antworten sollte.
    Er stand auf. Ich muss gehen.
    Michaelson sah nicht zu ihm auf.
    Ich suche einen anderen Michaelson, sagte Talmadge. Sieht aus, als wär ich hier falsch.
    Michaelson führte die Zigarre an die Lippen. Ich bin der einzige Michaelson hier in der Gegend, und das weiß jeder.
    Die Bodenbretter jammerten leise. Talmadge drehte sich um und sah ein Mädchen zwischen Wohnzimmer und Küche stehen. Sie war klein, vielleicht neun Jahre alt, mit schlaffem schwarzen Haar und schwarzen Augen, dem Schmollmund eines Kindes, rot gefleckt. Sie rieb sich die Augen. Sie trug ein Männerunterhemd aus Baumwolle und sonst nichts. Pa, sagte sie. Ein zartes Krächzen.
    Er hob zustimmend das Kinn, und das Kind kam leichtfüßig zu ihm getappt und kletterte auf sein Knie. Er legte ihm – beiläufig – einen Arm um die Taille, führte mit der anderen erneut die Zigarre zum Mund. Blickte finster zu Boden. Dann beugte er sich zum Tisch vor, drückte die Zigarre in einer Untertasse aus und räusperte sich. Wieder blickte er in eine Ecke des Raumes: Zwei Dollar, sagte er. Für zwanzig Minuten. Er machte eine Pause. Das ist Mary Elizabeth.
    Talmadge schaute weg. Ich muss los, sagte er.
    Ich mach sie sauber, zieh ihr ein Kleid an. Dauert nicht lange. Wenn sie auf ist, sind es die anderen auch, sagte er, mehr zu sich selbst als zu Talmadge. Er rieb sich mit dem Handballen ein Auge, streckte die Beine. Das Mädchen rutschte von seinem Schoß und lief wieder aus dem Zimmer. Sie können auswählen, sagte Michaelson. Was mögen Sie?
    Doch Talmadge war schon auf die Veranda hinausgetreten, ins gleißende Licht. Er ging rasch über die Lichtung, die Augen auf das Maultier gerichtet, das im getüpfelten Schatten neben der Scheune stand. Es schien ewig zu dauern, bis er dort ankam. Er konnte seine Dummheit kaum fassen. Der Junge, der mit dem Rücken an der Scheunenwand auf dem Boden gesessen hatte, rappelte sich auf und beeilte sich, die Zügel vom Pflock zu lösen. Das ging ja schnell, sagte er zu Talmadge und grinste.
     
    In Okanogan ging er noch einmal in den Gemischtwarenladen. Der alte Mann hinter der Theke erkannte ihn wieder und reckte das Kinn vor.
    Dieser Michaelson, sagte Talmadge. Was ist mit dem?
    Der Mann sah ihn schief an. Er hatte einen Lappen in die Hand genommen und wischte die Theke ab.
    Sie waren doch da, oder?, sagte er nach einer Weile. Dann wissen Sie, was

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