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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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die Sonne zeigte sich schon blass hinter der aufbrechenden Wolkendecke – ging er an ihnen vorbei, lief über den Rasen und verschwand in einem seiner Obstgärten.
    Zwei Tage später, als er am Bachufer hockte und Geschirr spülte, kam Jane auf seiner rechten Seite dicht an ihm vorbei, um ans andere Ufer zu wechseln, und Della folgte kurz dahinter links von ihm. Abwesend, als wäre er ein Fels oder ein anderer fester Gegenstand, den sie als Stütze benutzen konnte, legte Della eine Hand auf seine Schulter und nahm sie gleich wieder weg. Der Mann hielt still. Sie gingen langsam über das Feld auf den Canyon zu. Sie blickten sich nicht um.
     
    Im weiter abgelegenen Obstgarten gab es nahe einer Wegbiegung ein Versteck, wo Jane verschiedene Dinge lagerte: Seil, Schnur, eine Gartenschere. Einen hölzernen Sägebock, der schwer aus dem Schuppen wegzutransportieren gewesen war, ohne dass der Mann es merkte. Della fragte zuerst nicht, was Jane da machte.
    Für alle Fälle, antwortete Jane, als sie es schließlich doch tat. Falls er kommt. Mit
er,
das wusste Della – die Haare an ihren Armen und am Nacken sträubten sich –, meinte Jane Michaelson. Er wird nicht hierherkommen, sagte Della, womit sie meinte: Er gehört nicht hierher. Jane nickte abwesend. Für alle Fälle, sagte sie wieder. Wir müssen gewappnet sein …
     
    Die Mädchen verbrachten die meiste Zeit im Aprikosengarten oder im Pflaumengarten hinter der Hütte, wo es bei Hitze am kühlsten war, doch auch auf dem großen Feld, am schattigen Waldrand, fühlten sie sich inzwischen ganz wohl. Sie waren oft genug in den Canyon und den Pfad zu der Hütte hinaufgewandert, die eigentlich für sie gedacht war. Hatten stundenlang bis zum Kinn im oberen Teich gesessen, nur zuletzt nicht mehr, weil sie zu dick geworden waren. Sie hätten nicht die Kraft gehabt, sich selbst aus dem Wasser zu hieven.
    All dies – das Land, die Bäume, das Wetter, das Wasser – betrachteten sie als das Reich des Mannes. Nichts geschah hier, was er nicht wusste oder worüber er nicht die Macht hatte. Wenn er nicht die Macht hatte, bestimmte Dinge zu verhindern – fast glaubten sie daran –, dann verfügte er wenigstens über das nötige Wissen, um sich zu schützen, oder über die Kraft, es auszuhalten.
     
    In einem der kleinen Schlafzimmer – dem, das nicht seins war – fanden sie im Schrank eine Kiste mit einem Paar Mädchenstiefel und einem Kleid und einer Art Babyjäckchen darin. Und kleinen Babyschuhen. Die Mädchen saßen auf dem Boden und reichten diese Dinge wortlos hin und her, versuchten, die Vergangenheit des Mannes zusammenzusetzen, eine Geschichte daraus zu bilden, die Sinn ergeben, ihnen ein klareres Bild von ihm zeichnen würde.
    Hatte er diese Kleidungsstücke für sie – Jane und Della – gekauft, und die Babykleidung auch, für die Kinder, die sie bald zur Welt bringen würden? Das glaubten sie nicht, sprachen es nur mal probehalber aus, um irgendwo anzufangen, mit irgendeiner Vermutung. Die Kleider waren alt, fadenscheinig. Von Motten zerfressen. Eine Möglichkeit war natürlich, dass die Kleider einem anderen Mädchen gehörten, einem Mädchen, das vor ihnen hier gewesen war. Abwechselnd hielten sie sich das Kleid an den Körper, ohne sich dabei anzusehen. Dass es so war, wollten sie nicht glauben. Denn das Mädchen, das diese Kleider getragen hatte, lebte nicht mehr, da waren sie sicher. Man bewahrte nicht die Kleidungsstücke eines Menschen auf, der einfach nur weggegangen war.
    Sie legten das Kleid auf den Esstisch und überlegten gemeinsam, wo sie die anderen Sachen lassen sollten – die Stiefel im Schrank des Mannes zwischen dessen eigenen, die Babyschühchen mit zusammengebundenen Schnürsenkeln an dem Nagel, wo auch der Bilderkalender hing –, doch am Ende reichte das Kleid auf dem Tisch aus, meinten sie, um ihn wissen zu lassen, dass sie sein Geheimnis entdeckt hatten.
    Kurz vor der Abenddämmerung kam er zurück. Er war in der Stadt gewesen. Die Mädchen saßen in ihrem Aprikosenbaum, der Hütte und nicht wie sonst dem Feld zugewandt. Sie wollten sehen, wie er reagierte. Er führte das Maultier mit dem Wagen zur Scheune und blieb lange dort. Die Dämmerung war vollständig hereingebrochen, als er über den Rasen zur Hütte ging. Kurz darauf flackerte hinter dem Fenster das Licht der Laterne auf.
    Die Tür der Hütte stand offen, und sie warteten auf die Geschäftigkeit und den Geruch, die mit seinen Vorbereitungen für ihr Abendessen

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