Im Licht von Apfelbäumen | Roman
geschüttelt, als wollte sie sagen, dies sei nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden. Und es war ein Wunder, dass sie Della überhaupt einweihte, denn die war dafür bekannt, wie ein kaputter Kessel nicht dichtzuhalten, sondern Informationen, Geschichten und – selten, aber schrecklicherweise – auch
Gefühle
bereitwillig auszuplaudern. Das Wissen um ihre Flucht aber verheimlichte sie. Nichts kam beim Zusammensein mit den anderen – beim Essen oder wenn sie schlafen gingen – über ihre Lippen, und das war bemerkenswert, denn manchmal, sie wusste auch nicht warum, war sie von dem Drang erfüllt, die Mädchen mit einer Geschichte oder einem Witz zu verblüffen – vielleicht, damit sie sie schätzen lernten oder sie um ihre Intelligenz beneideten, ihren Reichtum an Geschichten, ihre Pfiffigkeit. Doch sie dachte über das, was Jane ihr erzählt hatte, nach und begriff, dass dieses Wissen anders war. Es durfte nicht geteilt werden, egal, wie sehr Della gemocht werden wollte. Und ihr war klar, dass ihre Schwester es wahrmachen, dass sie ihre Flucht wirklich planen würde. Es war so gut wie eine Tatsache: Sie und Jane würden von diesem Ort fliehen. Aber wann? Jane würde es sie schon wissen lassen. Sie wartete noch. Der richtige Zeitpunkt war, Jane zufolge, entscheidend.
Caroline Middey verließ die Plantage und versprach, Ende der Woche wiederzukommen, um nach ihnen zu schauen. Zwei Tage später, als der Mann in die Stadt gefahren war, gingen Jane und Della erneut in die Hütte und durchsuchten seine Sachen. Della wusste nicht, wonach sie eigentlich suchten, aber dieses Mal kam es ihr anders vor als sonst, wenn sie die Hütte aus Langeweile oder schlichter Neugier betreten hatten. Dieses Mal schien es, als hätten sie eine Mission.
In einer alten Zigarrenkiste auf seiner Schlafzimmerkommode – die Kiste war voller Krimskrams: alter Münzen, Knöpfe, Nadeln, Schrauben, Zwirn und buntem Garn – fand Jane ein gefaltetes Stück Papier, das ihren und Dellas Namen trug, und außerdem Michaelsons. Was sonst noch dastand, konnte sie nicht lesen, aber das reichte. Sie müssten weggehen, sagte Jane, und Della nickte abwesend. Sie fragte sich, warum er wieder etwas zu essen für sie in die Speisekammer gestellt hatte, wenn er doch am Abend zurück sein wollte. Und ob er Süßigkeiten aus der Stadt mitbringen würde.
Jane packte ein wenig Proviant in einen Jutesack, und dann liefen sie auch schon durch den Wald. Jane blickte immer wieder über die Schulter zurück, als erwartete sie, dass der Mann plötzlich mit Maultier und Wagen hinter ihnen auftauchen würde. Della war zum Lachen zumute. Es war wie ein Spiel. Bestimmt würden sie und Jane bei Einbruch der Dunkelheit umkehren, denn bis dahin hätte er ja etwas für sie gekocht. Bestimmt gingen sie nicht wirklich fort! Jane spielte ein Spiel. Doch sie gingen immer weiter, und am späten Nachmittag war Della heiß und schwindelig, und sie fühlte sich leer – beunruhigend leer – und wollte sich ausruhen. Wo war der Bach? Wohin war der Bach verschwunden? Jane sagte, sie wisse nicht, wo das Wasser sei. Sie hatten vergessen, einen Behälter mitzunehmen, aus dem sie trinken konnten. Nun
mussten
sie zurückgehen. Aber Jane hörte anscheinend gar nicht hin, als Della das sagte. Ich muss mich ausruhen, sagte Della, und dann mit dünner, hilfloser Stimme: Mir ist schlecht. Und sie legte sich in ein Gehölz – Zedern – und schlief auf der Stelle ein. Als sie aufwachte, lag sie mit der Wange im Dreck und würgte und presste, und etwas Heißes und Nasses kam zwischen ihren Pobacken heraus. Sie versuchte, nach Jane zu rufen, doch dafür war sie zu schwach. Sie weinte in ihre verschränkten Arme.
Und dann schlief sie wieder ein, und als sie aufwachte, war der Morgen eines neuen Tages angebrochen, und ihr Arm lag um Janes Hals, und sie gingen langsam zwischen Bäumen hindurch. Ich bin krank, sagte Della. Ja, sagte Jane. Della wandte den Kopf und blickte ihrer Schwester ins Gesicht und sah, dass es rau war vom Weinen.
Sie schlief augenblicklich wieder ein. Als sie das nächste Mal aufwachte, lief sie nicht mehr, sondern lag auf dem Rücken. Die Welt drehte sich langsam. Das Gesicht eines Indianers ragte über ihr auf. Ihr war sehr heiß. Sie versuchte, etwas zu ihm zu sagen – ihn um Wasser zu bitten –, doch ihr Mund funktionierte nicht, er war mit einem Lappen verstopft.
Als sie erneut aufwachte, lag sie in einem Zimmer, das ihr irgendwie bekannt
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