Im Licht von Apfelbäumen | Roman
unwahrscheinlich, denn Jane wusste alles. Sie hatte Della nicht gesagt, sie solle nicht mit dem Mann sprechen. Ganz sicher glaubte Jane nicht, dass Della sich mit dem Mann anfreundete, denn das war für sie, für beide, ein Ding der Unmöglichkeit – sie brauchten es nicht auszusprechen. Männer waren an und für sich nicht vertrauenswürdig. Man musste sie abschätzen, musste herausfinden, was sie von ihnen, Jane und Della, wollten und genauso, was Jane und Della vielleicht von ihnen bekommen konnten, ob sie irgendetwas hatten, was die Mädchen brauchten. Mit Männern machte man Tauschgeschäfte, oder man fürchtete sie vielleicht, aber man mochte sie nicht um ihrer selbst willen. Und ganz bestimmt, auch das verstand sich von selbst, liebte man sie nicht.
In diesen Wochen – waren es Monate? – auf der Sommerplantage stromerten Jane und Della herum, hockten im Gras, schliefen, ignorierten den Mann oder taten so, als ignorierten sie ihn, und aßen gierig, wie Tiere bei der Fütterung. Es war unklar, wie lange sie bleiben würden.
Seltsamerweise hatten diese Tage nichts Drängendes, obwohl die Bäuche der Mädchen zu bersten schienen und es offensichtlich war, dass sie bald gebären würden. Sie schliefen lange, warfen sich die Decken von den schwitzenden Körpern, wälzten sich herum und krochen auf Händen und Knien in den Schatten, um noch ein, zwei Stunden auf der Seite weiterzuschlafen, mit offenem Mund. Die Tage verschwammen, einer war weitgehend wie der andere. Es gab kaum Veränderungen. Vielleicht war die Zeit stehen geblieben; vielleicht hatte sie nie existiert. Es war nicht klar, was geschehen würde. Wollten sie bleiben oder gehen? Die Tage verstrichen in einem traumgleichen Dunst, der von der unglaublichen Hitze und den vielen Stunden Helligkeit herrührte. Dazu der gellende Einton-Gesang der Heuschrecken. Der Sinn des Tages, falls er einen hatte, lag darin, das Tun und Treiben des Mannes zu beobachten, egal wie konzentriert – zu welchem Zweck, konnten sie nicht sagen. Der unmittelbare Zweck war Essen; weiter im Hintergrund war ein vages Gefühl, eine Ahnung, deren Ursprung in den tiefsten Bereichen ihres Gehirns lag, dass sie ihn noch für andere Zwecke brauchen könnten, vor allem für das, was mit ihren Körpern geschah: die Ankunft ihrer Kinder.
Ihre Kinder waren von Gott. Jane hatte sie in einer Vision gesehen, als sie mit Michaelson zusammen war und er ihr die Haschpaste zum Probieren gegeben hatte, wie er es manchmal tat, und sie war eingeschlafen und hatte geträumt, dass ihre Kinder – ihres und Dellas – in ihnen wuchsen und sie nach der Geburt auf dem Rücken – denn sie waren zugleich Engel – forttragen und vor Michaelson in Sicherheit bringen würden. Jane beschrieb ihre Reise Richtung Mond. Das war am Anfang.
Und dann änderte sich Janes Deutung des Traums. Nicht die Kinder brachten Jane und Della von jenem Ort weg, sondern umgekehrt. Natürlich waren Babys keine Engel, natürlich konnten sie nicht fliegen. Jane wartete auf den richtigen Moment. Aber spätestens im Frühling würden sie fliehen, versprach Jane.
Eines Morgens auf der Plantage war es feucht und kühl, der Himmel dunkelgrau. Als sie aufwachten, merkten sie, dass sie ihre Decken bis ans Kinn hochgezogen, sie in der Nacht nicht weggestrampelt hatten. Sie standen auf, als die ersten Regentropfen auf ihre Gesichter trafen. Ohne sich abzusprechen, überquerten sie den Rasen und zögerten nur kurz, bevor sie auf die Veranda traten. Jane runzelte die Stirn. Die Tür war offen. Zwei Birkenholzsessel standen auf der Veranda, doch als Della sich dort hinsetzen wollte, knurrte Jane und winkte sie hinter sich her. Als der Mann herauskam, saßen sie mit dem Rücken zu ihm auf einer Seite der Veranda am Boden, die Beine über dem Rand. Della wandte den Kopf, um ihn anzuschauen, aber Jane sagte ihr mit leiser Stimme, sie solle sich wieder umdrehen.
An diesem Morgen aßen sie beide auf der Veranda, während der Regen keine drei Fuß vor ihren Knien herunterprasselte, und hinter ihnen, in der Hütte, saß der Mann auf dem Stuhl in der Ecke, trank Kaffee – Della konnte es riechen – und las Zeitung.
Wenn es je eine Situation gab, dachte Jane, in dem der Mann seine Manieren hätte vergessen und die Gelegenheit ausnutzen können, dann war es diese Situation auf der Veranda, im Regen. Doch er setzte sich noch nicht einmal zu ihnen. Er wartete drinnen, bis der Regen aufhörte, und ein paar Minuten später –
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