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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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gesetzt hatte – er war vielleicht alle drei Monate mal zum Lüften dort –, und legte das Mädchen auf die nackte Matratze. Es war staubig und kalt hier. Die andere war jetzt still und stahl sich hinter ihm herein. Er fand, er müsse dem bewusstlosen Mädchen eigentlich die Kleider ausziehen, die vor Dreck starrten. Doch zu einem solchen Akt fühlte er sich außerstande, er konnte sich nicht vorstellen, dergleichen zu tun, schon gar nicht, wenn die andere dabei zusah. Er ging auf die Veranda und sagte Clee und dem Cowboy, die draußen warteten, dass jemand Caroline Middey holen müsse. Der Cowboy erklärte sich sofort dazu bereit und lief den Hang hinunter zu den Pferden.
    Talmadge und Clee wechselten einen Blick; dann drehte Talmadge sich um und ging wieder in die Hütte.
    Er nahm den Hut ab, bevor er das Zimmer betrat. Das ältere Mädchen saß am Bettrand und hielt das Handgelenk des anderen Mädchens fest umklammert. Beschützend. Sie sah auf, als er hereinkam, richtete den Blick aber über seine Schulter.
    Nach ein paar Sekunden Schweigen räusperte Talmadge sich und sagte: Caroline Middey kommt. Sie wird bald da sein. Sie weiß, was zu tun ist.
    Das Mädchen schaute wieder zu ihrer Schwester auf dem Bett, die zwar zu schlafen schien, aber dennoch einen gequälten Gesichtsausdruck hatte. Ohne die Augen von ihr zu wenden, sagte die Ältere leise: Sie schafft das schon. Dann: Es ist bloß losgegangen, das ist alles. Einen Moment schien es, als würde sie weiterreden – als hätte sie noch mehr zu sagen –, doch dann ließ sie den Moment verstreichen und schwieg wieder.
    Er zögerte. Wir sollten ihr die Kleider ausziehen …
    Und da sah das Mädchen ihn an. Die Art ihres Blicks änderte sich nicht – sie sah durch ihn hindurch –, und obwohl ihr Gesicht sich zu entspannen schien, erkannte er darin Unerbittlichkeit: ein leichter Schleier über den Augen, geweitete Nasenflügel. Sie packte den Rand der Matratze, schien sich zu wappnen. Als sie sprach, war ihre Stimme hart wie Stahl.
    Wenn Sie sie anfassen, sagte sie, bring ich Sie um.
     
    Clee, der in dem Birkenholzsessel saß, drehte sich zu Talmadge um – ein kaum merkliches Anheben der Brauen, taxierend: Was ist da los? Kennst du sie?
    Ich kenne sie nicht, sagte Talmadge und ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen. Er nahm den Hut ab und setzte ihn gleich wieder auf. Eine Geste des Verdrusses, der Erschöpfung. Es war früher Abend, doch die Dunkelheit hatte noch nicht alles ausgelöscht: Unten auf dem Feld bewegten sich die Umrisse der Pferde, und der Himmel, hoch über ihnen, war blass. In der Hütte hinter ihm war es ruhig – zu ruhig, fand Talmadge. Doch das Mädchen wollte weder mit ihm sprechen noch ihm erlauben, ihre Schwester zu untersuchen; und so beschloss er, sie eine Weile allein zu lassen.
    Er nahm die Pfeife, die Clee ihm jetzt angezündet hatte, und nach einem kurzen Zug erzählte er ihm die Geschichte: wie die Mädchen auf die Plantage gekommen waren und wie er auf sie achtgegeben hatte; dass ein Mann nach ihnen suchte – ihr Vater vielleicht, aber er wusste es nicht, jedenfalls ein sonderbarer und gewalttätiger Verbrecher –, der nördlich von Ruby City lebte, am Oberlauf des Okanogan. Der Mann sei schon in der Stadt gewesen und habe nach ihnen gefragt. Ich dachte, ich helfe ihnen, bis sie ihre Babys gekriegt haben, sagte Talmadge – und überraschte sich selbst damit, denn dies war das erste Mal, dass er sich ein solches Vorhaben aussprechen hörte –, und dann können sie weiterziehen. Wenn sie wollen. Es geht nicht an, sagte er nach einer kurzen Pause, dass ein Mädchen sein Baby im Wald zur Welt bringt. Ohne die Hilfe einer Frau, fügte er hinzu.
    Clee hatte inzwischen seine eigene Pfeife herausgeholt und saß rauchend da, während Talmadge redete. Nach ein paar weiteren kurzen Zügen setzte er die Pfeife auf seinem Knie ab.
    Wenn sie doch endlich kommen würde, sagte Talmadge plötzlich, und seine Stimme klang laut und erschrocken.
    Als Clee auf das jüngere Mädchen gestoßen war, hatte er gedacht, sie sei tot. Er führte die Pfeife wieder an den Mund. Er hatte gedacht, sie sei tot, aber das war sie nicht. Nicht, als sie auf dem Boden lag und er sich über sie beugte und eine Hand in die glutheiße Halsbeuge legte, um ihren Puls zu fühlen. Das andere Mädchen, neben ihr, sprachlos vor Angst und Wut. Da war sie nicht tot gewesen und auch nicht während des langen Ritts zur Plantage, als sie vor Clee auf dem

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