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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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stand vollständig bekleidet am Rand des Aprikosengartens und blickte aufs Feld hinunter. Es war Morgen. Sie stützte sich auf einen Wanderstock. Dort waren die Pferde gewesen – sie hatte sie vom Bett aus durch das offene Fenster gehört –, doch nun waren sie fort. Talmadge hatte allerdings gesagt, er rechne jetzt jeden Tag mit ihnen, dann könne sie sie sehen, wenn sie wolle.
    Sie betrat den Aprikosengarten, und als sie Talmadge auf einem Baum entdeckte – nur seine Beine, denn er stand auf der Leiter –, hockte sie sich nicht in einigem Abstand auf den Boden, sondern ging geradewegs zu ihm und schaute hoch. Nach ein paar Sekunden bemerkte er ihre Anwesenheit und sah zu ihr hinunter. Sein Gesicht, von Zweigen gerahmt, war rot und verschwitzt. Er trug seinen weichen Kalbslederhut. Hast du Hunger?, fragte er sie unsicher, doch sie antwortete nicht, ging weiter zwischen den Bäumen entlang. Was suchte sie?
    Später in der Hütte saß sie auf dem Bettrand, und Caroline Middey zeigte ihr und Jane noch einmal, wie man das Kind stillte. Della knöpfte ihr Kleid bis zur Taille auf, schlüpfte aus den Ärmeln und saß mit entblößtem Oberkörper da. So war es am einfachsten. Caroline Middey gab ihr den Säugling und zeigte ihr, wie sie ihn halten und mit der Brustwarze seinen Mund streifen sollte, und welche Stellung am besten war, sobald er anfing zu saugen.
    Doch wie schon beim letzten Mal wollte das Kind Dellas Brustwarze nicht. Nachdem sie es einige Minuten lang versucht hatten, gab Caroline Middey das Kind Jane zurück, deren Brustwarze der Säugling sofort gierig in den Mund nahm. Jane neigte sich mit weit geöffneten Augen zu seinem Köpfchen hinunter.
    Es ist noch früh, sagte Caroline Middey. Wir versuchen es weiter. Die Kleine muss lernen, dass sie zwei Mütter hat.
    Und dann schmiegte Della sich an Caroline Middey – die Stirn an die Schulter der älteren Frau gelehnt –, während diese Dellas Brust in die Hand nahm und die Milch in eine Tasse zu streichen begann. Della riss sich sehr zusammen, aber dann weinte sie doch. Es war ganz still im Zimmer, abgesehen von diesem Weinen und den Sauggeräuschen des Kindes.

    Talmadge war wieder in die Stadt gefahren, um Obst zu verkaufen. Während er im Wirtshaus am Tresen saß und aß, tauchte Weems hinter ihm auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    Talmadge reckte den Hals, um zu ihm aufzusehen.
    Hat dieser Michaelson Sie gefunden?, fragte Weems. Er war vor ein paar Tagen hier, hat Sie gesucht. Und Weems’ Blick, eben noch lebhaft – vor Nervosität vielleicht, oder Sorge –, wurde ernst, beinahe traurig. Die Leute, die irgendwas wussten, haben den Mund gehalten, sagte er. Aber Sie wissen ja, wie das ist. Wieder lächelte er dieses traurige, zurückhaltende Lächeln. Kann sein, dass Ihnen Ärger ins Haus steht. Der Mann ist nicht ganz richtig im Kopf …
     
    Talmadge fragte Caroline Middey, ob er das Richtige tue, indem er die Mädchen bei sich wohnen lasse, oder ob sie meine, er solle einen besseren Ort für sie suchen. Caroline Middey hatte sich natürlich schon ihre Gedanken dazu gemacht und nur darauf gewartet, dass er sie fragte. Sie sagte, er solle zumindest den Sheriff über ihre Situation unterrichten, über die Möglichkeit, dass sie alle in Gefahr seien.
    Er gab ihr recht. Aber er sprach nicht mit dem Sheriff. Was, wenn irgendein ihm und Caroline Middey unbekanntes Gesetz existierte, nach dem die Mädchen und das Baby Michaelsons Eigentum waren? Das war absurd und unmoralisch, aber es gab da draußen solche unmoralischen Gesetze, das wusste er. Und was, wenn er selbst gegen das Gesetz verstieß, indem er für die Mädchen sorgte? Oder die Lage aus Versehen sogar verschlimmerte, wenn er Kontakt mit dem Amt aufnahm? Er spürte, dass ihm Schwierigkeiten drohten, wusste aber nicht genau, in welcher Form. Er würde abwarten; vielleicht den Richter um Rat fragen.
    Jedenfalls musste er vorsichtig sein, mehr denn je einen klaren Kopf behalten und überlegt handeln, doch in diesen ersten paar Wochen nach der Geburt des Kindes hatte er die ganze Zeit das Gefühl, sich nicht richtig konzentrieren zu können, ja in einem Traum zu leben.
    Wenn er jetzt vom Aprikosengarten aus auf die Hütte zukam, erschrak er angesichts all der Zeichen von Lebendigkeit: Mädchengestalten, die an den Fenstern vorbeidrifteten, unentwegt aus dem Schornstein aufsteigender dicker Rauch; Caroline Middey, die auf der Veranda Teppiche ausklopfte, ihre Stimme ein Dauerton

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