Im Licht von Apfelbäumen | Roman
konnte: etwas, das mit ihm selbst zu tun hatte, mit der Plantage und dem Ablauf der Zeit. Irgendwo unterwegs hatte er vergessen, an sie zu denken, hatte vergessen, sie beständig aus den Fernen, in die sie so gern schweifte, zurückzurufen.
Und Angelene, damals noch zu klein, um ihre Gefühle für Della zu artikulieren, betrachtete sie als genauso einen Teil der Plantage wie die Männer und die Pferde: interessant und ungewöhnlich, ja sogar staunenswert, aber weit entfernt von dem eigentlichen Plantagenleben, das Angelene und Talmadge allein bestritten; damit hatten sie nichts zu tun. Als Angelene Della die letzten paar Male sah, ein Kind von vier oder fünf Jahren, unternahm keine von beiden einen Versuch, die andere zu umarmen. Della war für Angelene damals schwer einzuordnen. Sie war ihre Tante, aber Angelene verstand nicht genau, was das hieß. In der Maserung ihres Lebens war Della die eine Linie, die in entgegengesetzter Richtung verlief; die nicht hineinpasste. Sie war immer da, war das sonderbare Detail, das ein ansonsten friedvolles Miteinander durchbrach.
Talmadge sprach mit Angelene nicht darüber, wer Della war oder wo sie herkam oder warum sie so anders war als andere Frauen. Angelene war damals ohnehin noch zu klein, um das zu verstehen. Falls sie ihm gegenüber je ihre Verwirrung äußerte, erinnerten sie sich beide nicht daran. Aber sie würde sich immer daran erinnern, wie sie auf der Plantage auf Talmadges Rücken ritt – zum Spaß, denn aus dem Tragetuch war sie längst herausgewachsen –, mit Grashalmen oder Geißblatt im Mundwinkel, und ihm endlose Fragen stellte, über die Tiere, die Wolken, die Bäume, die Früchte. Und an seine Antworten, die immer mit Oh … begannen. Bedächtige Antworten.
Sie waren in jene Zeit auf der Plantage übergewechselt, als Della nicht mehr kam. Angelene meinte immer, dass sie den Moment, den Beginn dieser Zeit, genau benennen konnte. Ihr Geburtstag wurde jedes Jahr nach der Aprikosenernte gefeiert; die Pferde waren unten auf dem Feld, und die Männer saßen in ihrer Stadtkleidung oben im Garten auf Stühlen oder am Boden und aßen, was Caroline Middey für sie zubereitet hatte. Ob es tatsächlich oder nur in ihrer Erinnerung so war – dieser Geburtstag, ihr sechster, war für sie der erste, an dem Della nicht kam. Talmadge ging immer wieder an den Rand des Gartens und blickte über das Feld, in der Erwartung, sie aus dem Wald herausreiten zu sehen.
Das war das Bild, das Angelene damals von ihm hatte: wie es ihn stets an den Rand irgendeiner Zusammenkunft zog, an eine Stelle, wo er nach Della Ausschau halten konnte. In den folgenden Jahren sprach er immer seltener von ihr, doch nie verlor er jenen abwesenden Ausdruck, jenen suchenden Blick. Das machte Angelene traurig um seinetwillen und zornig auf die, die fernblieb.
[zurück]
III
Della betrat die Fotokabine – sie hatte vorher nicht gewusst, was das war –, um eine gelinde Neugier zu befriedigen.
Es war eine Art Schrank, sehr ruhig verglichen mit dem Jahrmarkt da draußen, von dem sie kam. Diese Jahrmärkte schossen rund um jede Auktion aus dem Boden, und manchmal durfte sie allein losziehen.
Bei Dämmerung bist du zurück im Lager …
Sie setzte sich auf einen mit blauem Samt bezogenen Hocker. Ein Mann, den sie nicht sehen konnte – er befand sich in der tintenschwarzen Dunkelheit vor ihr –, sagte ihr, sie solle ganz still halten, er werde sie jetzt fotografieren. Ob sie wisse, was das hieß? Beweg deinen Mund nicht, sagte er. Sitz still. Versuch, nicht zu blinzeln.
Das Foto war am Ende so groß wie ihr Daumenabdruck. Hinterher, als sie allein zwischen den blinkenden, grellen Lichtern über den Jahrmarkt lief, zog sie es immer wieder aus der Tasche und betrachtete es. So sah sie also aus. Das Mädchen auf dem Bild war blass (das war allerdings der Effekt des Films; im Leben war sie eher dunkelhäutig) und hatte einen erschrockenen Ausdruck, dunkle Augen. Einen viel zu ernsten Mund. Der Mann hatte ihr gesagt, sie solle ihren Hut abnehmen, und ihr Haar war strubbelig und zu zwei Zöpfen geflochten, von denen einer sich auf ihrer Schulter kringelte. Ein paar vereinzelte Sommersprossen auf ihrer Nase. Sehr schmale Schultern. Eine ihrer vorderen Taschen war eingerissen.
Sie wusste nicht, dass man das Bild seinem Schatz schenken sollte – woher auch? –, also überlegte sie, es Angelene zu geben, oder Talmadge, bis ihr einfiel, dass sie die beiden ja gar nicht mehr sah. Sie steckte
Weitere Kostenlose Bücher