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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Pflückens durch die Zweige hindurch auf sie ein. Sie fragte Della gleich nach ihrem Namen und sagte, sie selbst heiße Margaret Peabody, aber jeder nenne sie Maggie P. Nach dem ersten Buchstaben, nicht nach dem Gemüse, fügte sie hinzu und lachte über ihren eigenen Witz, aber Della verstand gar nicht, wovon sie redete.
    Maggie P. arbeitete schnell, so klein ihre Hände auch waren, und dass sie dabei wie ein Wasserfall redete, schien sie kein bisschen zu beeinträchtigen. Im Gegenteil, es trieb sie an, und sie erlahmte nie, auch nicht, wenn sie sagte: Puh, ich bin am Verdursten, du nicht? Oder: Mann, hab ich mich heute Morgen aus dem Bett gequält, und du? So achtsam wie flink kletterte sie die Leitern hinauf und hinunter, nur kurz im Reden innehaltend, wenn ein Strauch Obst ihre besondere Aufmerksamkeit erforderte. Die Momente, wenn Maggie P. schwieg, waren goldene Inseln der Stille, und Della schwelgte darin, denn sie wusste, dass die penetrante Stimme Sekunden später weiterplappern würde: Wo war ich stehen geblieben? Was hab ich dir gerade erzählt?
    Obwohl die Hitze Maggie P. zusetzte und ihre Mutter ihr gesagt hatte, sie könne ihre Zeit besser nutzen, als in den Bäumen zu arbeiten, behauptete Maggie P., es mache ihr Spaß. Jedes Jahr um die Erntezeit – obwohl sie vorhabe, sich in der Stenografieschule einzuschreiben, wie ihre Tante es für sie arrangiert habe –, jedes Jahr also ziehe es sie zu den Früchten auf den Bäumen; sie sehe die Leute kommen, die Arbeiter aus dem Süden, und schon werfe sie sich ihre alten Sachen über, ihren Overall und ihr Kopftuch, und renne los.
    Es gibt nichts, sagte sie, was den Körper so angenehm müde macht und einem so viel einbringt. Ich rede jetzt nicht von Geld, ich rede von Obst! Zwanzig Torten habe ich in einem Jahr gebacken, mit meiner Mutter, meinen Tanten und den Kleinen. Blaubeertorten, Erdbeertorten – hast du schon mal Beeren gepflückt? Die Arbeit ist anders, in mancher Hinsicht schwerer, aber wenn man den Bogen raus hat, kann man was dabei verdienen …
    Und so weiter und so weiter.
    Als die Kirschen abgeerntet waren, verdingten sie sich auf einer Pfirsichplantage, wo Maggie P. schon im Jahr davor gearbeitet hatte. Obwohl sie Della den Job besorgt hatte und sie zusammen mit zwei weiteren Frauen in einer Hütte ein Stück den Hang hinauf untergekommen waren, fand Maggie P. Dellas Bett am nächsten Morgen leer vor. Nach dem Frühstück entdeckte sie sie zwischen anderen Arbeitern in den Bäumen. Doch Maggie P. suchte sich einen Platz neben ihr und nahm den Faden ihres Monologs vom vorherigen Nachmittag wieder auf.
    Maggie P. war an schweigsame Menschen gewöhnt. Ihr eigener Vater war auch einer. Solange Della sich nicht über ihr dauerndes Reden beschwerte, wie andere es oft taten, würde sie einfach damit weitermachen.
    Maggie P. gehörte nicht zu denen, die nur über sich selber sprachen. Ganz am Anfang hatte sie Della gefragt, wo sie herkomme und wer sie sei. Als sie einsilbige oder gar keine Antworten bekam, verstand sie den Wink und fing an, von sich selber zu reden. Doch das minderte nicht ihre Neugier hinsichtlich ihrer neuen Freundin, eine Neugier, die nicht die besessene Wissbegierde des Tratsches war, sondern echtes Interesse.
    Du kommst also aus der Gegend von Wenatchee?, sagte Maggie eines Tages. Na, da gibt es vielleicht Obst! Ich hab’s zwar selbst noch nicht gepflückt, aber ich kenne ein paar Geschichten über die Plantagen da oben … Sie hoffte, hier würde die andere einfallen oder, als sie es nicht tat, sich wenigstens über die Erwähnung ihres Herkunftsortes freuen. Sie wollte, dass Della sich wohlfühlte.
    Meistens ging Maggie P.s Redseligkeit Della auf die Nerven. Sie hätte dem ununterbrochenen Wortschwall die Stille, die kleinen akustischen Details ihrer Arbeit in den Bäumen vorgezogen, die Bewegungen der Körper, die Vögel und ferne Geräusche, deren Ursprung sie nur erahnen konnte. Maggie P. brachte die Welt direkt zu ihr, sie zeigte darauf und redete dann darüber. Und dennoch gab es Momente – vor allem vor dem Einschlafen, wenn Della erschöpft unter ihrer Decke lag und zusah, wie Maggie P. halb abwesend, halb aufmerksam wieder und wieder ihren kurzen, dicken Haarschopf bürstete und sich, die Augen fest geschlossen, das Gesicht mit Creme einrieb, dann auch Ellbogen und Brust, und dabei die ganze Zeit mit Della redete –, in denen Della sich nicht über sie ärgerte, sondern nur wachsam war. Es rief ihr jene

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